Kriminalitätsbekämpfung Kriminalitätsbekämpfung: Gericht schränkt Abhören von Wohnungen deutlich ein

Karlsruhe/dpa. - Dem Gesetzgeber bleibt eine Frist zur Neuregelung bis 30. Juni 2005. Die Bundesregierung kündigte die rechtzeitige Verwirklichung an.
Der Erste Senat ließ zwar - gegen die Stimmen von zwei der achtRichter - die Grundgesetzänderung unbeanstandet, mit der nachjahrelanger heftiger Diskussion im Jahr 1998 eine Parteiübergreifende Mehrheit dem Lauschangriff den Weg geebnet hatte.Dessen Umsetzung in der Strafprozessordnung ist aber zum großen Teil verfassungswidrig.
Gegen den Lauschangriff waren sieben Beschwerdeführer vor dashöchste deutsche Gericht gezogen, darunter die FDP-Politiker Burkhard Hirsch, Gerhart Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die im Streit um das Abhören 1995 als Bundesjustizministerin zurückgetreten war. Sie sieht das Urteil als «Bestätigung der Bedenken, die ich über Jahre hinweg gegen den Lauschangriff hatte». (Az.: 1 BvR 2378/98 und1084/99 vom 3. März 2004)
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) zeigte sicherleichtert, dass zumindest die Grundsatzentscheidung für daselektronische Abhören Bestand hat. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar sowie Politiker der Grünen und der FDP forderten nach dem Urteil eine Überprüfung anderer Abhörmaßnahmen wie etwa der Telefonüberwachung. CDU-Rechtspolitiker mahnten dagegen, den Lauschangriff nicht durch zu hohe Hürden unpraktikabel zu machen. Die Gewerkschaft der Polizei sprach von einem «herben Rückschlag» für dieBekämpfung von Schwerkriminalität.
Nach den Worten der Richter schützt die Garantie der Menschenwürdeeinen «Kernbereich privater Lebensgestaltung», in den der Staat auchnicht im Interesse der Strafverfolgung eingreifen darf. «DemEinzelnen soll das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, gerade inseinen eigenen Wohnräumen gesichert sein», sagte GerichtspräsidentHans-Jürgen Papier bei der Urteilsverkündung. Gespräche unter engstenVertrauten in der Privatwohnung seien gänzlich dem Zugriff derErmittler vorenthalten - es sei denn, «konkrete Anhaltspunkte»deuteten ausnahmsweise auf kriminelle Inhalte hin. «Die Privatwohnungist als "letztes Refugium" ein Mittel zur Wahrung der Menschenwürde»,so die Richter.
Zudem entschied das Gericht, dass das elektronische Abhören nurzur Verfolgung schwerer Straftaten mit einer Höchststrafe von mehrals fünf Jahren zulässig ist. Damit wird der derzeit geltendeKatalog, der den Lauschangriff teils auch bei mittelschwererKriminalität erlaubt, deutlich kürzer. Daneben mahnte das Gerichtstrengere verfahrensrechtliche Sicherungen undBenachrichtigungspflichten an.
Zwei Richterinnen des achtköpfigen Senats halten auch dieGrundgesetzänderung für verfassungswidrig, mit der dieUnverletzlichkeit der Wohnung zu Gunsten der Abhörmöglichkeiteingeschränkt worden war. Wenn selbst die persönliche Intimsphärekein Tabu mehr sei, vor dem das Sicherheitsbedürfnis Halt mache, danngehe es darum, nicht mehr nur den Anfängen, sondern dem «bitterenEnde» eines Abbaus von Grundrechtspositionen zu wehren, heißt es inihrer abweichenden Meinung.
Nach den Worten von Zypries haben die Ermittler ohnehin sehrrestriktiv - 119 Mal in fünf Jahren - von der Maßnahme Gebrauchgemacht, meist bei Tötungs- oder Drogendelikten. BayernsInnenminister Günther Beckstein (CSU) kritisierte dagegen, dass dieRechte des Individuums gegenüber dem Schutz der Allgemeinheitausgedehnt worden seien.
Gerhart Baum sprach von einem «wegweisenden und historischenUrteil, das zum Überdenken der Sicherheitsphilosophie in DeutschlandAnlass geben sollte». Hirsch forderte, die seit Jahrzehntenstattfindende Ausweitung der Überwachung müsse ein Ende haben.
