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Krankenkassen Krankenkassen: Nach Sparpaket kommt große Gesundheitsreform

01.11.2002, 12:59
Das Einmaleins der Krankenversicherung
Das Einmaleins der Krankenversicherung Globus

Berlin/dpa. - Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hat für Anfang 2004 eine weit reichende Strukturreform im Gesundheitswesen angekündigt. «Wir werden das kommende Jahr nutzen, um die große Reform vorzubereiten», sagte Schmidt in einem dpa- Gespräch am Sonntag. Diese solle dann am 1. Januar 2004 in Kraft treten. Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe verlangte die Reform angesichts der Finanznot schon früher: «Wir brauchen sie jetzt.»

Im Koalitionszwist um das aktuelle Sparpaket erwartet Schmidt bis zum Treffen der Spitzen von SPD und Grünen am Montagabend eine Einigung. Die Grünen haben Vorbehalte gegen das von der Ministerin geplante Verbot, bis Ende 2003 die Krankenkassenbeiträge zu erhöhen. Sie sehen auch das Vorhaben skeptisch, die Ausgaben der Krankenhäuser ein Jahr lang einzufrieren. Schmidt ist den Krankenkassen und den Grünen inzwischen mit Ausnahmeregelungen für Beitragssatzerhöhungen entgegengekommen. Die Ministerin erhielt am Samstag Rückendeckung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD).

   Schröder forderte von den Kassen mehr Sparsamkeit. «Stellt Euch nicht ins mosernde Abseits, sondern macht mit bei den Kostenreduzierungen», sagte Schröder bei einem SPD-Landesparteitag in Essen. Statt über Beitragserhöhungen sollten die Kassen darüber nachdenken, wo sie bei den Verwaltungskosten sparen könnten.

   Aber auch Ärzte, Apotheker und Pharmaindustrie müssten zur Sanierung des Gesundheitssystems etwas beitragen. Den Standesvertretern der Ärzte warf Schröder «Gejammere» vor. Zu den Protesten der diversen Interessengruppen sagte der Kanzler: «Wenn wir vor diesem Widerstand kapitulieren, dann ist es aus mit der Reformfähigkeit unserer Gesellschaft.»

   Ulla Schmidt erläuterte, die zum 1. Januar 2003 geplanten Spargesetze seien «eine Art Erste-Hilfe-Aktion». Ziel sei es, «Luft zu haben», um 2003 ohne akuten Finanzdruck die große Reform zu erarbeiten. Schmidt will die Ausgaben für Ärzte und Krankenhäuser auf dem Stand von 2002 festschreiben. Gesetzlichen Kassen soll bereits vom kommenden Donnerstag an untersagt sein, ihre Beiträge zu erhöhen.

   Zu den Ausnahmen sagte Schmidt der dpa: «Eine Krankenkasse kann auch künftig den Beitrag erhöhen, wenn andernfalls ihre Leistungsfähigkeit bedroht ist. Keine Krankenkasse muss zahlungsunfähig werden oder Kredite aufnehmen.» Zunächst waren Ausnahmen nur bei Existengefährdung der Kasse vorgesehen.

   Einige Krankenkassen haben angeblich damit gedroht, den «Beitragsstopp» zu unterlaufen und noch schnell ihre Beiträge zu erhöhen. Die größte deutsche Kasse, die Barmer Ersatzkasse, beschloss jedoch am Sonntag, ihren Beitragssatz von derzeit 14,5 Prozent bis zum Jahresende nicht zu verändern. Auch die Brandenburger AOK will auf einen höheren Satz verzichten. Der Verwaltungsrat der Deutschen Angestellten Krankenkasse tagte am Sonntag, wollte aber keine Beschlüsse fassen.

   Schmidt rechnet damit, dass die meisten Krankenkassen mit Blick auf das Sparpaket ihre Beiträge stabil halten. Die Aufsichtsbehörden auf Bundes- und Landesebene müssten bei Erhöhungsanträgen prüfen, ob sie sie genehmigen können. Schmidt wies darauf hin, dass Kassenmitglieder bei Beitragserhöhungen ein Sonderkündigungsrecht haben.

   Schmidt warf der bayerischen Sozialministerin Christa Stewens (CSU) vor, das Sparprogramm der Bundesregierung torpedieren zu wollen und dafür die Beiträge der bayerischen Kassen hochzutreiben. Stewens hatte angekündigt, als zuständige Aufsicht werde sie den Kassen in Bayern erlauben, vor dem Verbot noch schnell ihre Beiträge anzuheben.

   Das Gesetzespaket für 2002 soll insgesamt 3,5 Milliarden Euro an Entlastung bringen. 2,85 Milliarden Euro davon soll durch Gesetze erreicht werden, die nicht vom Bundesrat gebilligt werden müssen. Das geht aus den ersten Entwürfen für das Gesetzespaket hervor, die der dpa vorliegen. Die anderen Sparmaßnahmen können aber am Widerstand der Union in der Länderkammer scheitern.

   Bundesärztekammer-Präsident Hoppe sagte der «Berliner Zeitung» (Samstag), der Druck zu grundsätzlichen Veränderungen sei so groß, dass «ein weiteres Abwarten fahrlässig ist und die Probleme sich dadurch weiter verschärfen». Das Eil-Sparpaket von Schmidt mit der Nullrunde für Arztpraxen und Kliniken werde allerdings «die medizinische Versorgung der Bevölkerung teilweise drastisch verschlechtern».

Was die Gesundheit kostet (Grafik: dpa)
Was die Gesundheit kostet (Grafik: dpa)
dpa