Kommentar zur Verteidigungsunion Kommentar zur Verteidigungsunion: Die EU darf nicht nur den Mund voll nehmen

Berlin - Endlich werde Europa erwachsen, sagt die einen. Eine gemeinsame Verteidigung mache die EU selbstständiger. Europa setze den falschen Schwerpunkt, sagt die andere Fraktion. Es militarisiere sich. Die Wahrheit liegt, wie immer, in der Mitte. Die geplante engere Zusammenarbeit von 23 EU-Mitgliedsländern in ausgesuchten militärischen Angelegenheiten ist einzig und allein der Tatsache geschuldet, dass es in einer Staatenunion blanker Unfug wäre, Armeen nicht kooperieren zu lassen – und das aus politischen wie aus wirtschaftlichen Gründen.
Man sollte nicht gleich von einem Meilenstein sprechen, wie es der amtierende deutsche Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) macht. Das Dokument, das die EU-Außen- und Verteidigungsminister am Montag in Brüssel unterzeichnet haben, ist eher ein Meilensteinchen. Noch ist unklar, wie genau die sogenannte „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ mit der englischen Abkürzung „Pesco“ aussehen wird. Es ist zunächst an den Aufbau eines europäischen Sanitätskommandos gedacht, an die Einrichtung gemeinsamer Logistikzentren, um Truppen und Ausrüstung zu transportieren. Das könnte so eine Art militärischer Schengen-Raum werden. Später dann vielleicht soll es einen gemeinsamen Verteidigungsfonds geben, aus dem die Entwicklung und Beschaffung neuer Waffen und neuen Geräts bezahlt werden soll. Das klingt alles gewaltig, ist aber ein bescheidener Anfang.
Doch immerhin. Zu Beginn des siebten Jahrzehnts ihres Bestehens soll die Europäische Union nun erstmals eine militärische Komponente erhalten. Das kann man begrüßen oder beklagen, es ist jedenfalls ein Beleg dafür, dass sich die Europäer den Wirklichkeiten dieser Welt annähern. Gegen Terroristen lässt sich, wenn dazu Armeen überhaupt taugen, nur gemeinsam vorgehen. Aber wer sich sorgt, die EU werde sich nun in ein aggressives, militärisches Gebilde verwandeln, kann beruhigt sein. Geht es in dem Tempo weiter, wird es eine europäische Armee frühestens in 200 Jahren geben.
Deutschland und Frankreich waren – wie so oft in der Vergangenheit – treibende Kräfte der europäischen Zusammenarbeit mit durchaus unterschiedlichen Ansätzen. Die Deutschen wollten die Kleinen mitnehmen, die Franzosen wollten eine schlagkräftige Kooperation, auch weil sie, wie zuletzt in Mali, erst selbst ran mussten, bevor sich die Rest-Europäer dann auch bequemten. Nun machen viele Kleine mit, was aber noch nicht gleichbedeutend ist mit Schlagkraft.
Noch keine zufriedenstellenden Antworten
Pesco steht erst am Anfang. Wie das militärische Zusammenspiel von Kleinstaaten wie Slowenien, neutralen Staaten wie Österreich und Staaten wie Polen und Ungarn, die innerhalb der EU gerne Rosinen picken, funktionieren soll, kann niemand sagen. Die Gefahr ist groß, dass sich die Kooperation doch wieder nur auf jene beschränkt, die ohnehin für Europa mehr zu tun bereit sind als viele andere – Deutschland und Frankreich zum Beispiel. Wie eine Verteidigungszusammenarbeit ohne das militärisch starke Großbritannien funktionieren soll, ist auch eine Frage, auf die Europa noch keine zufriedenstellende Antwort weiß.
Zumal es selbst zur formalen Gründung von Pesco auch wieder Anstöße von außen brauchte. Viele Jahre lang haben die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten von einer Verteidigungsunion fantasiert. Es gibt bereits auf dem Papier sogenannte EU-Battlegroups, die allerdings noch nie zum Einsatz kamen. Das Brexit-Votum der Briten machte den Weg politisch frei, denn London hatte über Jahre hinweg eine engere Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik torpediert. Und die Wucht der globalen Finanzkrise vor einem Jahrzehnt führte den Europäern vor Augen, dass die Verschwendung von Ressourcen auch im Verteidigungssektor bequem ist, aber auf Dauer nicht zu bezahlen.
Donald Trump sei Dank
Und letztlich können sich die Europäer auch bei den Amerikanern dafür bedanken, dass sie im vergangenen Jahr Donald Trump zum Präsidenten gewählt haben. Es war Trumps offen zur Schau getragene Missachtung der von supranationalen Konstrukten wie der Europäischen Union, es war sein hämisches Grinsen am Tag der Brexit-Entscheidung in Großbritannien, es war sein selbstverliebter Auftritt vor der Nato: In den EU-Hauptstädten führte das zu der Erkenntnis, dass Europa von Trump nichts zu erwarten hat außer seinem Gerede, dass die USA sich prinzipiell übervorteilt fühlten. Die Schlussfolgerung war ebenso naheliegend wie richtig: Die Europäer müssen mehr für ihre eigene Sicherheit tun.
Pesco sollte jetzt schnell von einer Absichtserklärung zur Realität werden. Das wäre in der Tat ein Beitrag zur europäischen Einigung. Europa ist in Verruf geraten, und das liegt nicht nur an der Schwerfälligkeit der europäischen Strukturen. Es liegt auch daran, dass die Nationalstaaten in der Vergangenheit gerne den Mund zu voll genommen haben.