Kommentar zur Kinderlosigkeit Kommentar zur Kinderlosigkeit: Deutschland darf aufatmen

Jahrelang verrenkte sich die Politik, um Frauen dazu zu animieren, Kinder in die Welt zu setzen. Und was machten die? Die weigerten sich einfach. Kontinuierlich stieg so die Zahl der kinderlosen Frauen an. Nur elf Prozent der 1937 geborenen Frauen blieben kinderlos. 30 Jahre später hatte sich die Zahl nahezu verdoppelt – auf 21 Prozent. Jede fünfte dieser Frauen blieb somit ohne Baby.
Wirtschaft und Politik waren seither in Sorge: vor einer immer älteren und zudem schrumpfenden Gesellschaft und den hohen Kosten, die durch den demografischen Wandel entstehen würden.
Kinderlosigkeit hat sich stabilisiert
Jetzt darf Deutschland aufatmen. Ein kleines bisschen jedenfalls. Nach den jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes hat sich die Kinderlosigkeit der Frauen aus den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahrgängen stabilisiert. Der Trend scheint erst einmal gestoppt. Mehr noch: Von den 40- bis 44-jährigen Akademikerinnen blieben im vergangenen Jahr zwar immer noch 25 Prozent ohne Nachwuchs – doch 2012 hatte diese Quote noch drei Prozentpunkte höher gelegen. Auch die Geburtenrate bestätigt die Entwicklung. 1,5 Kinder bekamen deutsche Frauen im Jahr 2015 durchschnittlich – so viele wie seit 30 Jahren nicht.
Das sind alles erfreuliche Nachrichten. Aber diese Zahlen geben noch lange keinen Anlass zur Entwarnung. Ein Blick in die Nachbarländer zeigt: Deutschland bildet gemeinsam mit der Schweiz, Italien und Finnland das Schlusslicht. Nirgendwo sonst in Europa leben mehr Frauen ohne Baby. Doch wieso fällt deutschen Frauen die Entscheidung für ein Baby so schwer? Und warum trauen sich jetzt ganz offensichtlich doch einige mehr? Die Gründe dafür sind vielschichtig.
Kinder kosten viel Geld
Während Kinder in der Vergangenheit ärmeren Menschen auch eine Absicherung im Alter garantierten, hat sich die Entwicklung inzwischen umgedreht: Vor allem wohlhabende Familien bekommen jetzt viele Kinder. Verknappt gesagt: Kinder sind vielen zu teuer geworden. Die Erkenntnis ist mitnichten neu; genau hier hat die Politik in den vergangenen Jahren verstärkt angesetzt.
Ihren Fokus hat sie auf zwei wesentliche Punkte gesetzt: Zum einen können es sich die wenigsten Familien leisten, dass ein Elternteil komplett zu Hause bleibt und sich um das Kind kümmert. Zum anderen werden Frauen glücklicherweise inzwischen nicht mehr angefeindet, wenn sie nach der Geburt ihres Kindes wieder arbeiten gehen möchten. Es ist ihr Wille – nicht zur Selbstverwirklichung, wie gern geraunt wird, sondern weil sie den Beruf ausüben wollen, den sie gelernt haben.
Neue Herausforderungen für die Familienpolitk
Dieses Aufbrechen der traditionellen Rollenmuster hat die Familienpolitik vor neue Herausforderungen gestellt. Es zeigt sich mit Blick auf die aktuellen Zahlen, dass offenbar in den vergangenen Jahren an den richtigen Schrauben gedreht und die entsprechenden Themen auf die Agenda gesetzt wurden. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stand nicht nur unter der ehemaligen Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) an oberster Stelle.
Der Ausbau der Kindertagesbetreuung, das Recht auf einen Betreuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr oder das ElterngeldPlus sind kleine Bausteine, die Frauen die Entscheidung für ein Kind ganz sicher erleichtert haben. Das wird so bleiben. Aber auch das: Immer mehr Männer gehen in Elternzeit. Auch wenn sich diese meist noch für die Mindestbezugsdauer von zwei Monaten entscheiden – der Umbruch ist spürbar. Das kommt auch bei den Arbeitgebern langsam an, obwohl die Elternzeit der Väter noch immer weniger akzeptiert ist als die der Mütter.
Zahlen und politische Vorhaben mit Vorsicht betrachten
Doch trotz dieser positiven Entwicklungen müssen sowohl die Zahlen als auch die politischen Vorhaben mit Vorsicht betrachtet werden. Aufatmen ja, aber durchatmen kann man noch lange nicht. Vor allem in den Großstädten fehlen zum Beispiel Kita-Plätze. Zwar hat die Bundesregierung 1,2 Milliarden Euro für weitere 100 000 Kita-Plätze bis zum Jahr 2020 bewilligt. Doch das reicht bei weitem nicht. Experten haben jüngst berechnet, dass mindestens 350 000 Plätze benötigt werden.
Einen herben Rückschlag erlebten Frauen erst im Mai, als die Forderung nach einem Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit krachend scheiterte – obwohl dies sogar im Koalitionsvertrag vereinbart war. Die sogenannte Teilzeitfalle in der viele Frauen feststecken, hat vielerlei Nachteile: kaum Aufstiegschancen, geringer Lohn und später weniger Rente. Dies alles können Gründe sein, die gegen ein Kind sprechen.
Das Auflösen von traditionellen Rollen bringt aber noch eine andere Konsequenz mit sich, die nicht durch familienplanerische Vorhaben beeinflusst wird: Viele Frauen entscheiden sich heute ganz freiwillig, ohne wirtschaftliche Zwänge, gegen ein Kind – schlichtweg weil Kinder für sie nicht mehr den Stellenwert haben wie einstmals. Das sei Egoismus meinen die einen. Von Selbstbestimmung und Individualisierung sprechen anderen.
Kinderlosigkeit ist kein Manko
Die Zahlen können also erst einmal Grund zur Freude sein, denn die Maßnahmen erreichen die kinderwilligen Frauen. Die nächste zu erreichende Stufe wäre, Kinderlosigkeit nicht als Manko zu betrachten.