Kommentar zur Debatte um Flüchtlinge Kommentar zur Debatte um Flüchtlinge: Deutschland steht vor einer Jahrhundertaufgabe
Berlin - Wer in diesen Tagen aus dem Urlaub nach Deutschland zurückkehrt, erlebt eine neue Realität. Griechenlandkrise, Landesverrat und NSA-Attacken – das war gestern. Die öffentliche Wahrnehmung wird nun von einem einzigen Thema beherrscht: dem Flüchtlingsstrom aus Syrien, dem Balkan und Afrika.
Die Bilder, die sich damit verbinden, sind nicht leicht in Einklang zu bringen. Auf der einen Seite wecken rechte Hetze und brennende Notunterkünfte beklemmende Erinnerungen an schlimmste Zeiten. Auf der anderen zeigt sich in Hilfsaktionen normaler Bürger und Prominenter beeindruckend die Mitmenschlichkeit einer Zivilgesellschaft, die sich dem braunen Pöbel entgegenstellt. Eigentlich kann man stolz sein, in diesem Land zu leben.
Gleichwohl bleibt ein Unbehagen. Es ist nicht lange her, dass über Ausländer und den Islam ganz anders diskutiert wurde. Ein Boulevardblatt warnte vor einer „Asyl-Lawine“ und polemisierte gegen „Gier-Griechen“. Nun wirbt es mit einem eigenen Logo dafür, Flüchtlinge willkommen zu heißen. Bei ARD und ZDF werden in bester erzieherischer Absicht täglich sympathische, gebildete Flüchtlinge gezeigt, die dem Tod in Aleppo entronnen sind und nun als Arzt arbeiten wollen. Selten fehlt der Hinweis, dass wir als alternde Gesellschaft auf Zuwanderung angewiesen sind.
Nicht alle Afrikaner lesen Camus
Das alles stimmt. Und doch ist es nicht die ganze Wahrheit. Es gibt nicht nur hell und dunkel. So wichtig das klare Nein zu Intoleranz und Fremdenhass ist, so dringend müssen wir die Realitäten nüchtern betrachten: In diesem Jahr werden 800.000 Menschen aus anderen Kulturen kommen. Das stellt unser Land vor enorme Herausforderungen. Wahr ist auch, dass 40 Prozent der Zuzügler eben nicht aus Syrien, sondern vom Balkan stammen. Sie fliehen nicht vor Verfolgung, sondern vor Armut. Niemand sollte ihnen das verdenken. Aber ein Asylgrund ist das nicht. Auch lesen keineswegs alle Afrikaner Romane von Camus wie jener Guineer, den der Moderator Ranga Yogeshwar traf. Die Menschen stammen aus unterschiedlichen, teilweise verfeindeten Ethnien. Rund 80 Prozent sind Muslime. Experten schätzen, dass jeder Fünfte weder lesen noch schreiben kann. Das alles birgt Potenzial für erhebliche Spannungen.
Eine ehrliche Politik müsste sagen: Wir haben eine Jahrhundertaufgabe. An deren Ende soll ein jüngeres, bunteres Land stehen. Aber zunächst kommen auch Härten: Nicht nur die Turnhalle um die Ecke wird eine Weile belegt bleiben. Es wird bei gering Qualifizierten auch Konkurrenz um Jobs geben. In den Schulen wird es enger. Bezahlbarer Wohnraum in den Städten wird noch knapper. Die Schwarze Null im Bundeshaushalt dürfte bald zur Makulatur werden.
Angela Merkel behandelt das Thema wie eine administrative Aufgabe
Unser Land ist dabei, sich neu zu erfinden. Das wird nicht reibungslos funktionieren. Aber, so müsste die Politik versprechen: Wir werden mit Sprachkursen und Wohnungsbau alles für eine erfolgreiche Integration tun. Auch die Verteidigung unserer liberalen Prinzipien gehört dazu. Die Hilfe wird auf diejenigen konzentriert, die wirklich verfolgt sind. Wer kein Asyl erhält, wird schnell abgeschoben. Die ganze Welt kann nämlich selbst ein so starkes Land wie unseres nicht retten.
Doch so redet die Politik nicht. Kanzlerin Merkel behandelt das Thema eher wie eine administrative Aufgabe, die man mit flexiblen Wärmedämmungsvorschriften lösen kann. Und das liberale Bürgertum freut sich an seiner Lichterkette vor der Altbauwohnung. In den mittleren und unteren Etagen der Gesellschaft aber wachsen begründete oder unbegründete Ängste. Wenn aber aus politischer Korrektheit nicht offen über Chancen und Lasten der Migration gesprochen wird, haben die rechten Demagogen ein leichtes Spiel. Dann könnte es duster werden.