Kommentar zum Polizeiverhalten Kommentar zum Polizeiverhalten: Polizisten verdienen Respekt - und kritische Begleitung

Es ist vielleicht zehn Jahre her, da habe ich in Berlin-Neukölln eine Polizeistreife begleitet. An die Delikte erinnere ich mich bis heute ganz genau.
Die Beamten brachen eine Wohnung auf, aus der heraus geschossen worden war; der Täter war nicht mehr zu finden. Sie mussten den Streit eines heillos alkoholisierten Paares schlichten, das sich schon seit Jahren in der Wolle hatte. Überdies gab es einen Verkehrsunfall, in dessen Folge sich viele Menschen um den Ort des Geschehens versammelten – einige misstrauisch.
Schließlich waren da die randalierenden Obdachlosen vor einem Supermarkt und der Dealer nachts in der U-Bahn am Herrmannplatz, verwickelt in eine Messerstecherei. Die Schicht endete in einer Zelle, in die der Dealer gebracht wurde.
Polizisten immer respektiert
Nun ist Neukölln erstens gewiss nicht überall. Zweitens habe ich Polizisten immer respektiert. Nach dieser Streife jedoch ist mein Respekt nochmal spürbar gewachsen. Trotzdem halte ich den jüngst gesprochenen Satz des Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD) nach dem G20-Gipfel - „Polizeigewalt hat es nicht gegeben, das ist eine Denunziation, die ich entschieden zurückweise" – für ebenso falsch wie gefährlich.
Denn über die nicht zuletzt im Internet veröffentlichten wahrnehmbaren Tatsachen hinweg gesprochen, die Grenzüberschreitungen belegen, ist er nichts anderes als ein Freifahrtschein für Ordnungshüter, die wie alle anderen an Recht und Gesetz gebunden sind.
Mehr Achtung als andere Berufsgruppen
Um es noch einmal sehr klar zu sagen: Achtung haben Polizisten allemal verdient – mehr Achtung als andere Berufsgruppen. Gerade die politische Linke hat Polizisten diese Achtung gern aus ideologischen Gründen verwehrt. Wer zur Polizei ging, der fiel sozialer Ächtung anheim. Dieselbe Linke redet nun mit Blick auf Hamburg in Teilen so lange über mutmaßliche oder tatsächliche Polizeigewalt, bis diese wie die Ursache der Randale erscheint. Das ist fatal.
Polizisten sind überdies unmittelbar mit dem Elend der Gesellschaft konfrontiert. Kriminalität ist nämlich oft nichts anderes als Ausdruck gesellschaftlicher Marginalisierung. Insofern haben sie auch häufiger mit Migranten zu tun, da Migranten in sozial schwachen Schichten häufiger vertreten sind. So oder so sind Polizisten Anfeindungen ausgesetzt. Und ihre Arbeit ist wie die von Fußballtrainern oder Journalisten Gegenstand öffentlicher Debatten von Leuten die nicht selten keine Ahnung von den Rahmenbedingungen haben.
Hamburg zeigt das. Schließlich sind da die konkreten Arbeitsumstände – Schichtdienste, bescheidene Bezahlung, Einsätze fern der Heimat, das Gefühl der Sinnlosigkeit bei der x-ten Fußball-Schlägerei irgendwo in der Regionalliga Nord. Die Kluft von Überbeanspruchung einerseits und öffentlichem Anspruchsdenken andererseits ist ihrerseits Quelle von Frust, die in die Arbeit zurückwirkt. Gleichwohl – und unter anderem aus den genannten Gründen – ist Scholz‘ Satz neben der Sache.
Er ist es, weil Polizisten selbst Gefährdete sind und deshalb zuweilen Dinge tun, die sich nicht tun sollten und nicht tun dürfen. So sind sie Gefährdete aufgrund der ihnen zukommenden Machtposition. Das haben Polizisten übrigens mit Soldaten gemein. Wenn zwei Beamte nachts um eins einen Verdächtigen stoppen und dabei übergriffig werden, dann ist der Verdächtige chancenlos – es sei denn, es gibt aussagebereite Zeugen.
Machtposition suchen
Chancenlos sind auch friedliche Demonstranten, auf die ein Wasserwerfer gerichtet ist, weil sich in der Nähe Gewalttäter aufhalten. Man muss ohnehin davon ausgehen, dass manche sich bei der Polizei bewerben, weil sie genau diese Machtposition suchen. Gefährdet sind Polizisten darüber hinaus, weil sie leicht in die Versuchung kommen können, ihren Frust an anderen abzulassen.
In den USA kommt offener Rassismus hinzu. Dort war die Polizeigewalt in den vergangenen Jahren für jedermann sichtbar. Sie äußerte sich in Morden. Mit anderen Worten: Polizisten verdienen mehr Achtung als andere. Sie verdienen aber ebenso mehr kritische Begleitung als andere – wobei mehr Achtung sicher auch helfen würde, kritikwürdiges Verhalten zu minimieren. Beides zusammen zu bringen ist in der Tat eine Kunst in Sachen Menschenführung, eine Kunst allerdings, die man von einem Bürgermeister wie Scholz, der ehedem ja mal Innensenator war, erwarten darf.
Unterdessen müssen sich die Deutschen – also die Bürger und ihre Politiker – schon auch fragen, ob sie in der herrschenden Sicherheitsdebatte, die zuweilen hysterische Züge annimmt, nicht gelegentlich übertreiben. Wer von morgens bis abends Unsicherheit heraufbeschwört, der bringt die Sicherheitsbehörden in die Lage, Sicherheit um jeden Preis herstellen zu müssen. Zugleich muss er ihnen dann absolut freie Hand gewähren. Dabei bleibt Deutschland – ohne Verharmlosung! – eines der sichersten Länder dieser Erde. Es wäre darum für uns alle besser, wenn wir ein bisschen Unsicherheit akzeptieren würden. Nicht zuletzt für Deutschlands Polizisten.