Kirche I Kirche I: Der erste Papst war auch verheiratet
Berlin/dpa. - Die Dornenvögel fliegen wieder. In den 80er Jahrenwar es das Fernseh-Melodram um einen verliebten Priester, das einMillionenpublikum zu Diskussionen über Sinn und Zweck derEhelosigkeit katholischer Priester anregte. Die jüngsten Fälle vonMissbrauch Minderjähriger durch Priester lenken den Blick erneut aufdas schwierige Verhältnis der katholischen Kirche zur Sexualität. DieBischöfe betonen vergeblich, dass der Hang zur Pädophilie sich nichtaus dem Zölibat ableiten lasse: Die vermeintliche Triebverdrängungkatholischer Priester ist einmal mehr zum Debattenthema geworden.
CDU-Politiker und Filmschauspieler rufen öffentlich zurAbschaffung einer jahrhundertealten Tradition auf. «Die katholischeKirche wäre gut beraten, den Pflichtzölibat abzuschaffen.» HermannKues, der kirchenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag,sprach's aus und verschwand in den Urlaub. Am Wochenende lief imFernsehen der Dornenvögel-Nachfolger «Zornige Küsse», in dem derHamburger Schauspieler Jürgen Vogel den verführten Priester spielt.Er finde die Pflicht zur Ehelosigkeit «unmenschlich», bemerkte Vogel.
Kritiker weisen darauf hin, dass der Zölibat weder zum Glaubensgutnoch zu den ältesten Traditionen der katholischen Kirche gehört. Zwarwar der Religionsstifter Jesus ehelos, aber seine engsten Begleiterwaren es nicht. Auch Petrus, der in der Kirchengeschichte als ersterPapst gilt, hatte nach biblischem Zeugnis eine Schwiegermutter. Wodas Neue Testament das Unverheiratetsein preist, müssen die Umständemitbedacht werden: So lebte ein Autor wie Paulus in der Erwartung desunmittelbar bevorstehenden Anbruchs des Gottesreiches. In dieserPerspektive erschien die Ehe eher nebensächlich.
Kirchenrechtliche Vorschriften über die sexuelle Enthaltsamkeitvon Priestern gab es schon im 4. Jahrhundert. Verbindlich wurde diePflicht zur Ehelosigkeit erst im 12. Jahrhundert festgelegt -allerdings nur für die römische Kirche. In den orthodoxen Kirchendurften die Priester immer verheiratet sein. Dort gilt der Zölibatnur für Ordensleute und Bischöfe. Im Hintergrund der Entscheidung fürden Zölibat stand nicht zuletzt die Sorge, die Pfründe der Kirche vorErbstreitigkeiten unter Pfarrerssöhnen zu bewahren.
Dass die katholische Kirche trotz Verfehlungen höchsterWürdenträger, beispielsweise mancher Renaissancepäpste, nicht vompriesterlichen Zölibat abrücken mochte, liegt an ihremAmtsverständnis. Ein geweihter Priester ist nach katholischerAuffassung immer auch Stellvertreter Jesu, den Christen als SohnGottes verehren. Da die Reformation ein grundlegend anderesAmtsverständnis entwickelt hat, sind bei den Protestanten sowohlverheiratete Pfarrer als auch Pfarrerinnen selbstverständlich.
Der Ruf nach einer Abschaffung des Zölibats wird immer dannbesonders laut, wenn katholischen Priestern Sexualdeliktenachgewiesen werden. So entstand 1995 die ReformbewegungKirchenvolksbegehren, nachdem der damalige Wiener Kardinal HansHermann Groer in den Verdacht der Pädophilie geraten war.
Auch eine Heiratserlaubnis für katholische Priester kann nachAnsicht von Experten kaum verhindern, dass sexuell gestörte Menschendie Weihe erhalten. Die Krankheitsbilder haben Kirchenkritiker wieEugen Drewermann und Uta Ranke-Heinemann ausführlich beschrieben.Aber die öffentliche Diskussion über das Thema lässt bei vielenKatholiken das Bewusstsein wachsen, dass die römische Kirche längerohne Zölibat bestanden hat als mit.