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Kaukasus-Krieg Kaukasus-Krieg: Erstes Opfer war die Wahrheit

Von DETLEF DREWES 30.09.2009, 05:51
Georgische Truppen rückten 2008 in die abtrünnige Region Südossetien ein. Russische Truppen marschierten daraufhin in Georgien ein. Nun liegt der EU ein Bericht zu den Geschehnissen vor. (ARCHIVFOTO: DPA)
Georgische Truppen rückten 2008 in die abtrünnige Region Südossetien ein. Russische Truppen marschierten daraufhin in Georgien ein. Nun liegt der EU ein Bericht zu den Geschehnissen vor. (ARCHIVFOTO: DPA) EPA

BRÜSSEL/MZ. - Seine Soldaten gaben am 8. August 2008 den ersten Schuss ab, der zum Kaukasus-Krieg führte, bei dem allein 162 südossetische Zivilisten getötet wurden. Das ist die Bilanz des Untersuchungsberichtes, den die Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini im Auftrag der EU am Mittwoch vorstellte.

13 Monate hatte Tagliavini zusammen mit Historikern, Politologen, Militärs und Diplomaten vor Ort recherchiert. Jetzt stellte sie klar: "Russische Friedenstruppen wurden angegriffen und hatten das Recht, sich zu verteidigen." Ein Großteil des nachfolgenden "russischen Militäreinsatzes ging weit über die Grenzen der vernünftigen Selbstverteidigung hinaus". Und: Was Moskaus Soldaten außerhalb Südossetiens taten, "ging im Wesentlichen außerhalb des internationalen Rechts vonstatten". Bei der "Bewertung der Vorgeschichte" wird Moskau, das den Bericht am Mittwoch objektiv nannte, keineswegs von einer Mitschuld reingewaschen. Das Verteilen russischer Pässe an die Bevölkerung in den Jahren vor dem Kriegsausbruch sei völkerrechtswidrig gewesen.

Der Vorwand, Moskaus Truppen hätten sich wehren müssen, um "seine" Bevölkerung zu schützen, sei damit hinfällig. Außerdem berichtet die Unabhängige Kommission über ethnische Säuberungen in Südossetien, wo viele Georgier lebten. Ob diese auf Befehl stattfanden, konnte jedoch nicht festgestellt werden. Dennoch müsse man nach der Mitverantwortung der russischen Streitkräfte fragen, die damals die Lage kontrollierten und deren Aufgabe es war, die Zivilbevölkerung zu schützen. Dies hätten sie unterlassen.

Mit Spannung war vor der Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse erwartet worden, ob die Untersuchungskommission auch die Rolle der US-Militärbeobachter aufgreifen wird. Bis zu 170 Experten aus Washington befanden sich zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs in Tiflis. Ob sie von ihren georgischen Partnern über die bevorstehende Eskalation informiert waren oder diese sogar unterstützen, bleibt unbeantwortet. Bestenfalls leise Kritik scheint durch, wenn die EU-Ermittler schreiben, eine "massive Gewährung von Militärhilfe muss auch dann, wenn sie nicht gegen internationales Recht verstößt, in einem gesunden Rahmen bleiben".

Die Ergebnisse der Untersuchung sind vor allem aus deutscher Sicht nicht überraschend. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte zu einem sehr frühen Zeitpunkt das georgische Vorgehen als "unverantwortlich" genannt und sprach von einer "Überreaktion" Russlands. Der "Bericht dürfte die Situation klären", kommentierte der EU-Außenbeauftragte Javier Solana die Ergebnisse. Diplomaten erwarten nun gravierende Folgen vor allem für Georgien: Den Bemühungen von Präsident Saakaschwili, in absehbarer Zeit der EU und der Nato beizutreten, werden kaum mehr Chancen eingeräumt.