Interview mit Katarina Barley zur US-Wahl Katrina Barley zur US-Wahl: "Miteinander ist schöner als gegeneinander"

Berlin - Frau Barley, Donald Trump wird Präsident. Wie ist Ihre unmittelbare emotionale Reaktion darauf?
Es ist nach dem Brexit-Votum ein Déjà-vu – wobei das noch mal eine Nummer schlimmer ist. Wir bekommen an der Spitze einer Weltmacht jemanden, der unberechenbar ist und dessen Geschäftsmodell darin besteht, zu beleidigen, zu lügen, zu diskriminieren. Und er hat damit Erfolg. Das ist auch hier mittlerweile Masche. Angst hat Konjunktur. Und diejenigen, die sie verbreiten, sind Teil eines neuen Establishments.
Was setzen Sie dem entgegen?
Wertschätzung ist in der Politik das A und O. Und wenn immer mehr Menschen an die Macht kommen, die sich durch ihr schlechtes Benehmen definieren, dann kriegen wir eine andere Gesellschaft.
Ist diese Gesellschaft nicht schon da? Und sind die Trumps nicht nur Ausdruck dessen?
Ja, in Teilen haben wir schon eine andere Gesellschaft. Das Schlimme ist aber, dass durch Leute wie Trump das Gefühl vermittelt wird: Das ist okay. Wir haben es in den 70 Jahren seit dem Krieg hinbekommen, miteinander anständig umzugehen. Nun nimmt der Ansatz, es gegeneinander zu versuchen, das erste Mal so richtig Fahrt auf.
Es gibt die These, dass wir genau das zumindest bei uns auch deshalb bekommen, weil in der Politik zu viel Konsens und zu wenig Auseinandersetzung herrschten.
Na ja, wir haben in Deutschland ein sehr weites Parteienspektrum – das ist der große Unterschied zu den USA. Bei uns gab es immer Parteien, denen unser Sozialstaat noch lange nicht weit genug ging oder die dieses System grundsätzlich ablehnten. Solche Extreme waren aber ja nicht gerade sonderlich erfolgreich.
Dennoch besteht bei manchen der Eindruck, es gebe etwa in der Flüchtlingspolitik eine große Koalition gegen die Bevölkerung.
Das ist doch Quatsch. Es ist nur so, dass die im Parlament vertretenen Parteien mit ganz konkreten Fragen umgehen müssen. Jemand, der nicht im Parlament ist, darf dagegen Sachen fordern, die man gar nicht umsetzen kann. Außerdem gibt es Leute wie Seehofer, Wagenknecht und Lafontaine, die in der Flüchtlingsfrage nun wirklich Rechtsaußen-Positionen vertreten. Schauen Sie sich doch jemanden wie Seehofer an, der ständig Viktor Orbán einlädt.
Was heißt das alles für die praktische Politik?
Wir müssen jetzt erst mal mit einem Präsidenten Trump umgehen und sehen, was er aus seinen Ankündigungen macht. Wir kennen das ja von Populisten aller Couleur: Sobald sie Macht errungen haben, backen sie plötzlich auch nur kleine Brötchen, und ihre Wähler sind dann schnell wieder sauer auf sie. Trump hat beispielsweise versprochen, eine Mauer zwischen den USA und Mexiko zu bauen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er das umsetzen möchte.
Ihre Hoffnung ist, dass es nicht so heiß gegessen wird, wie es gekocht wurde?
Ich bin mir sicher, dass das so sein wird. Allerdings kommen wir international zunehmend in eine Situation, in der Staaten ausschließlich egoistisch denken und handeln – nicht allein die USA, sondern auch Länder wie Ungarn und Polen. Deshalb müssen die vielen Vernünftigen jetzt aufwachen und sagen: Das ist der falsche Weg. Gerade wir Deutsche sollten das wissen.
Wut – so viel ist gewiss – setzt sich gegen Fakten durch. Müssen auch die etablierten Parteien mehr auf Emotionen setzen?
Vielleicht. Aber als Partei der Aufklärung zählen für uns auch Fakten. Wann haben wir zum Beispiel die letzte Talkshow zu Alleinerziehenden erlebt, deren Situation wir übrigens deutlich verbessern konnten? Und warum dringt nicht durch, dass wir die niedrigste Arbeitslosenquote seit 1990 haben?
Was sagen Sie zu dem Vorwurf, Politik sei zu elitär?
Ich habe bis vor drei Jahren, als ich in den Bundestag einzog, ein ganz normales Leben geführt. Und selbst wenn ich jetzt Abgeordnete und Generalsekretärin bin: Ich bin nicht abgehoben – mit Sicherheit nicht abgehobener als Frau Petry oder Herr Pretzell von der AfD, die die Arbeitslosenversicherung privatisieren wollen und den Mindestlohn als Jobkiller bezeichnen.
Sehen Sie insgesamt gar keine Hoffnung?
Doch. Ich bin mir ganz sicher, dass die Mehrheit der Deutschen in einem Land leben will, in dem wir zusammen halten – weil wir zusammen stärker sind und ein Leben miteinander schöner ist als gegeneinander. Dafür steht die Sozialdemokratie seit über 150 Jahren. In der US-Wahlnacht sind von null Uhr bis morgens um 9 Uhr 60 Leute in die SPD eingetreten. Das ist schon mal ein gutes Zeichen.