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Kopftuch-Urteil ausgrenzend? Karlsruhe: Deutsche Presse bewertet Kopftuch-Utrteil unterschiedlich

28.02.2020, 10:46
Rechtsreferendarinnen dürfen im Gerichtssaal kein Kopftuch tragen (Symbolbild).
Rechtsreferendarinnen dürfen im Gerichtssaal kein Kopftuch tragen (Symbolbild). dpa

Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass ein Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen im Gerichtssaal rechtmäßig ist. Stellt das Urteil Neutralität sicher, oder grenzt es Musliminnen aus der Gesellschaft aus? Die Kommentatoren in der deutschen Presselandschaft sind unterschiedlicher Meinung.

Der „Reutlinger General-Anzeiger“ befindet: “Die Richter haben damit keinesfalls die Religionsfreiheit mit Füßen getreten. Sie haben nur klargestellt, dass ein Gerichtsaal ein Ort des Rechts ist, in dem Symbole des Glaubens nicht im Vordergrund stehen dürfen. Die Pflicht zur weltanschaulichen Neutralität ist ein hohes Gut. Das gilt gerade in Zeiten, in denen hierzulande die Toleranz gegenüber Andersgläubigen schwindet und anderswo der Islam sich politisiert. Die damit verbundenen Auseinandersetzungen dürfen noch nicht einmal ansatzweise in den Gerichtssaal getragen werden. Anders als bei Lehrerinnen, wo das strikte Kopftuchverbot keinen Bestand hatte, haben die Richter hier zurecht eine klare Trennlinie gezogen.“

Anders sieht es die „Rheinpfalz“ aus Ludwigshafen. Dort heißt es: „In Baden-Württemberg will man auch an öffentlichen Schulen Nonnen im Habit unterrichten lassen, gleichzeitig aber Lehrerinnen mit Kopftuch verbannen. In Nordrhein-Westfalen existiert für Rechtsreferendarinnen ein Kopftuchverbot im Gerichtssaal. Gleichzeitig hängen aber im selben Gerichtssaal Kreuze an der Wand. Auch in Hessen will man christliche Symbole mit Hinweis auf die abendländische Tradition privilegieren, aber kein Kopftuch auf der Richterbank sehen. Bayern dito. Es ist wenig erstaunlich, dass Muslime und Musliminnen angesichts solch widersprüchlichen Verhaltens den Vorwurf der Diskriminierung erheben. Seit vielen Jahren wird dieses Problem nicht gelöst. Wir machen einen Vorschlag für die nächste Justizministerkonferenz: Alle müssen noch einmal „Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing lesen. Der wusste schon vor knapp 300 Jahren: Jeder darf und mag seine Religion haben. Aber es gibt keine richtige und falsche Religion, schon gar nicht im staatlichen Raum.“

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ kommentiert: „Ein Staatsdiener, zumal in der Justiz, sollte weder mit einem übergroßen Kreuz noch in sonst einem religiösen Gewand, noch mit einem anderen gut sichtbaren weltanschaulichen Logo vor den Bürger treten. Das gilt auch für Referendare. Zwar befinden sie sich in der Ausbildung und müssen - auch, um Rechtsanwalt zu werden - den juristischen Vorbereitungsdienst durchlaufen. Sobald sie dann im Sitzungsdienst als Staatsanwalt auftreten, repräsentieren sie den Staat. Der Staat sollte auch integrieren. Indem er weltanschaulich neutral auftritt, verhält er sich offen für alle. Das Kopftuchverbot ist keine Diskriminierung von angehenden muslimischen Juristinnen - sondern, wie die Robe erinnert es sie und jeden anderen daran, dass sie vor Gericht in staatlicher Funktion Freiheit und Gleichheit gewährleisten sollen.“

Die „Frankfurter Rundschau“ widerspricht: „Der enttäuschende Spruch des Bundesverfassungsgerichts ist Wasser auf die Mühlen derer, die - auch in den Parlamenten und aus populistischen Motiven - das Kopftuch pauschal zum Verdachtsobjekt erklären und eingrenzen wollen. Warum, muss sich Karlsruhe fragen lassen, soll eine muslimische Richterin mit Kopftuch nicht neutral Recht sprechen können, der strenge Katholik, dessen Glaubenswelt frei von Bekleidungspflichten ist, aber doch? Und sehen die Richter heute nicht, was sie noch 2015 richtig erkannten? Dass nämlich das muslimische Kopftuch zum Alltag der pluralen Einwanderungsrepublik gehört und deshalb sein Anblick allen zugemutet werden kann. Die Antwort kann nicht beruhigen: Es weht ein anderer, ein rechter Wind, er hinterlasst wohl auch in Karlsruhe Spuren. Dabei hätte das Land gerade jetzt von den Hütern unserer freiheitlichen Verfassung anderes gebraucht.“

Die „Saarbrücker Zeitung“ kommentiert: „Der erste (Senat) hat 2015 das Recht von Lehrerinnen hochgehalten, das Kopftuch zu tragen. Der zweite erlaubt nun, es auf der Richterbank zu untersagen. Man kann aus gutem Grund auch zu Abwägungen kommen, die exakt konträr zu denen der beiden Senate sind: Warum soll eine Richterin kein Kopftuch tragen? Sie ist kein Vorbild, sondern urteilt nach dem Gesetz und agiert vor Erwachsenen. Es ist viel problematischer, wenn eine Kopftuch tragende Grundschullehrerin an staatlichen Schulen eine Vorbildfunktion für Mädchen hat - und Eltern angesichts der Schulpflicht keine Möglichkeit haben, ihre Kinder diesem religiösen Einfluss zu entziehen.“

Die „Mitteldeutsche Zeitung“ befindet, die Verfassungsrichter beteiligen sich an der Ausgrenzung von Muslimen: „Im Gerichtssaal wird eine Robe getragen, die signalisiert, dass die Person hinter dem Amt zurücktritt. Bei vielen anderen persönlichen Merkmalen ist dies selbstverständlich: Wenn eine Frau auf der Richterbank sitzt, ist dies kein Grund zu zweifeln, ob sie in einem Sorgerechtsstreit den Vater gerecht behandelt. Wenn ein Richter im Rollstuhl sitzt, darf nicht bezweifelt werden, dass er den Schadensersatz bei Sportunfällen korrekt berechnet. Nur bei sichtbar religiösen Musliminnen soll dies nicht gelten. Hier heißt es, das sichtbare Merkmal Kopftuch beeinträchtige die Wirkung der Robe. Das religiöse Kleidungsstück wird als etwas Fremdes gesehen, dem die Bürger zurecht misstrauen. Damit beteiligen sich die Verfassungsrichter an der Ausgrenzung von Muslimen.“

Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ schreibt: „Das Bundesverfassungsgericht hat ein kluges Urteil gesprochen. Eins, das sogar zum besseren Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen kann – über politische und religiöse Trennlinien hinweg. Zwar werden manche Muslime die Entscheidung als Eingriff in die Religionsfreiheit sehen. Das ist sie ja auch. Solche Eingriffe können jedoch gerechtfertigt sein, wenn auf der anderen Seite ebenfalls hochrangige Verfassungsgüter auf der Waagschale liegen. Schon im Jahr 1973 hat das Verfassungsgericht in Karlsruhe auf Antrag von Prozessbeteiligten Kruzifixe aus dem Gerichtssaal entfernen lassen. Eine Äußerlichkeit? Nein. Sensibilität bei diesem Thema ist richtig. In keinem anderen Bereich muss so sehr auf weltanschauliche und religiöse Neutralität geachtet werden wie in der Justiz. Ihr ist man im Einzelfall wie keiner anderen Staatsgewalt ausgeliefert. (...) Mit Diskriminierung hat das nichts zu tun. Es geht um Gemeinsamkeit unter der Herrschaft des Grundgesetzes.“

(RND/dpa/ksta)