«Karfreitagsfürbitte» «Karfreitagsfürbitte»: Streit zwischen Juden und Vatikan eskaliert
Düsseldorf/Berlin/dpa. - Auch bei einem Treffen zwischen hochrangigenKirchenvertretern und einem Dutzend Rabbinern in Düsseldorf bliebunlängst das Reizthema hinter verschlossenen Türen diskretausgespart: Eine neu formulierte Karfreitagsfürbitte für die altelateinische Messe, die Papst Benedikt gerade wieder erlaubt hat,sorgt weltweit für eine abrupte Abkühlung im ohnehin sensiblenVerhältnis zwischen Juden und katholischer Kirche.
Es solle gebetet werden für die Juden, «...damit sie JesusChristus erkennen, den Heiland aller Menschen», heißt es in derfraglichen Fürbitte, die Rabbiner zwischen New York und Rom alsAufforderung zur längst überwunden geglaubten «Judenmission»auffassen, ihren Glauben in übler antijudaistischer Tradition als«mangelhaft» definiert sehen. Zumindest in einigen bayerischenKirchen wurde die umstrittene Fürbitte am Karfreitag vorgetragen.
In seltener Eintracht von liberal bis orthodox sind auch dieRabbiner in Deutschland über den Vatikan-Wortlaut verärgert. Erfällt, so meinen Kritiker, weit hinter allseits akzeptierteFormulierungen zurück, die 1970 als Folge des Konzils eingeführtworden waren. Der Papst hatte jetzt eine noch ältere,diskriminierende Fürbitte revidieren wollen, als er die altelateinische Messe wieder zuließ. Aber auch Aachens Bischof HeinrichMussinghoff, Stellvertretender Vorsitzender der DeutschenBischofskonferenz, war am Rande des Düsseldorfer Treffens mit denRabbinern anzusehen, dass ihm bei der rückschrittlichen Vatikan-Fürbitte alles andere als wohl ist.
«Viele unserer Pfarrer werden sie missverstehen», fürchtet derkatholische Würdenträger. Die Bischofskonferenz habe den Wortlaut von1970 vorgeschlagen, bei der die Treue der Juden zum Bund mit Gottbetont werde und damit die «Würde Israels» gewahrt bleibe, sagte erder Deutschen Presse-Agentur dpa: «Aber die Theologie des Papstes istein Stück anders.» Er begreife zwar dessen theologischen Standpunkt,«aber in jüdischen Ohren klingt das anders», räumt der Bischof ein.Er selbst sei «unglücklich mit der Formulierung» und hoffe aufbaldige klärende Gespräche mit Vertretern der Rabbiner inDeutschland. Auch der Theologieprofessor und katholische Vorsitzendedes Gesprächskreises Juden und Christen, Hanspeter Heinz, nannte dasVerhalten des Vatikan rücksichtslos. Er könne nur hoffen, dass derchristlich-jüdische Dialog auf regionaler Ebene diese massive Störungüberwindet, sagte Heinz der «Frankfurter Rundschau».
Zumindest in einzelnen Kirchen in Bayern wurde am Karfreitag beider Feier der Liturgie im außerordentlichen Ritus die umstritteneFürbitte für die Juden vorgetragen. «Wir werden diese Fürbittenehmen», sagte Pater Markus Rindler von der Petrusbruderschaft vorder Liturgie in der Augsburger Kirche St. Margareth. «Die Fürbitteist nicht gegen die Juden gerichtet», betonte er.
Auch beim «Institut Christus König und Hoherpriester», das eineNiederlassung in Bayerisch Gmain nahe Bad Reichenhall hat, wurde amKarfreitag die Fürbitte vorgelesen. In der Liturgie werde dasgebetet, «was der Heilige Vater gesagt hat», erklärte ein Priesterdes Instituts.
Schlicht «reaktionär» nannte der Vorsitzende der eher liberalenAllgemeinen Rabbinerkonferenz, Henry G. Brandt, im Gespräch mit derdpa die vom Papst abgesegnete Formulierung. Dies sei mit Blick aufdie lange Geschichte christlichen Judenhasses «ein sehrbedauernswerter und potenziell gefährlicher Rückschritt», meinteBrandt, der sonst als durchweg konziliant im Umgang mit Christengilt. Allerdings dürfe dies nicht die Fortschritte der christlich-jüdischen Annäherung infrage stellen.
Kölns Rabbiner Netanel Teitelbaum, der noch 2005 Papst Benedikt inseiner Synagoge mit Bruderkuss empfangen hatte, meinte als Sprecherder orthodoxen Rabbiner, er hoffe, die befürchtete Aufforderung zurMission «falsch verstanden» zu haben.
Als Konsequenz sagten der Direktor des Berliner Abraham GeigerKollegs zur Rabbinerausbildung, Walter Homolka, ebenso wie derprominente jüdische Publizist Micha Brumlik, ehemals Vorsitzender derArbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Evangelischen Kirchentag,ihre Teilnahme am kommenden Katholikentag in Osnabrück im Mai ab. Eswar «Zeit, ein Zeichen zu setzen», meint Brumlik: «Eineantijudaistische Position ist da bekräftigt worden.» Rabbiner Homolkaals Vertreter des liberalen Judentums fühlt sich vom katholischenMess-Text «intellektuell verwundert und emotional verwundet». DerPapst habe wohl die belastende Geschichte schlicht ausgeblendet,«aber keine theologische Reflexion ist richtig ohneGeschichtlichkeit», formulierte er seine «Fassungslosigkeit». Homolkasagte «Spiegel Online»: «Die Katholische Kirche hat ihreantisemitischen Tendenzen nicht im Griff.»
Als «weltliche» Vertretung von über 100 000 in Deutschlandlebenden Juden meldet sich nun auch der Zentralrat in demtheologischen Streit zu Wort: Die Wiederzulassung derKarfreitagsfürbitte sei ein Rückfall in längst überwunden geglaubteZeiten, rügte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, SalomonKorn, im Gespräch mit der «Frankfurter Rundschau». Gerade von einemdeutschen Papst erwarte er mehr Rücksicht auf die Sensibilität derJuden bei diesem Thema.
«Möglichst schnell, glaubwürdig und total», solle der Papst dieFürbitte in dieser Form zurücknehmen, forderte Zentralrats-VizeDieter Graumann und sprach unmissverständlich von vatikanischer«Respektlosigkeit und Missachtung gegenüber Juden». Allerdings dürfeman nun nicht gleich alle Brücken zur katholischen Kirche abbrechen,meinte Graumann. Aus dem Geist der «dramatischen Verbesserungen» dervergangenen vier Jahrzehnte seit dem Vatikanischen Konzil müsse esnun möglich sein, auch die jüngsten Verletzungen offen anzusprechen.