Kommentar Kanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Donald Trump trafen sich im weißen Haus zum ersten Mal.

Sie haben eine Vorgeschichte, in der es an gegenseitiger Kritik nicht gemangelt hat. In seiner barschen Art sagte er über sie: „Ich denke, sie hat einen katastrophalen Fehler gemacht. Das war, als sie all diese Illegalen aufgenommen hat. Sie hat einen katastrophalen Fehler gemacht, einen sehr schlimmen Fehler.“
In gemäßigter Tonlage, aber deutlichem Inhalt sagte sie über ihn: „Deutschland und Amerika sind durch Werte verbunden: Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung.“ Wenn er diese Werte einhalte, dann könne es eine enge Zusammenarbeit geben.
Die Vorgeschichte ist vorbei
Nun haben sie nicht mehr übereinander, sondern miteinander gesprochen – und das in offenbar durchaus höflichem Ton. Und sie haben sich die Hand gegeben, als Merkel vor dem Weißen Haus ankam. Das ist Pflicht bei Trump. Später dann, im Oval Office, kam es allerdings nicht mehr zum Handschlag, obwohl die Fotografen bettelten. Trump wollte offenbar nicht.
Im Weißen Haus in Washington prallten am Freitagabend zwei Politiker-Typen aufeinander, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Der mächtigste Mann der Welt ist ein unberechenbarer Populist, die einflussreichste Frau in Europa ist eine zurückhaltende Pragmatikerin – wie soll das funktionieren?
Oberflächlich gesehen hat es natürlich funktioniert. Man hat sich kennengelernt, Merkel nicht ganz so gelassen wie gewohnt, Trump vielleicht einen Hauch weniger großspurig als gewohnt. Substanzielle Ergebnisse gab es nicht, die waren auch nicht zu erwarten. Interessant, wie sich Merkel und Trump auf sicheres Terrain zurückzogen und während ihrer Pressekonferenz anfangs über das duale Ausbildungssystem deutscher Firmen in den USA sprachen. Als gäbe es nichts Wichtigeres.
Merkels Besuch hatte eine frostigere Note als früher
Aber doch war es anders als bei Merkels vergangenen Besuchen, frostiger, geschäftsmäßiger. In Barack Obama hatte die Kanzlerin einen Verbündeten, der den breiten Blick auf die Welt ebenso schätzte wie sie das tut. Das gute Verhältnis war zwar wegen der NSA-Schnüffelei an Merkels Handy getrübt, doch die Pragmatiker fanden schnell wieder zueinander. Selbst zu ihrem ersten US-Präsidenten George W. Bush hatte Merkel ein recht entspanntes Arbeitsverhältnis. Das transatlantische Gefüge war damals Spannungen unterworfen, in einer existenziellen Krise wie heute war es nicht.
Merkels dritter US-Präsident ist so anders, dass es kaum in Worte zu fassen ist. Seine einzige belastbare Eigenschaft ist seine Unberechenbarkeit. Diesen Eindruck konnte Trump auch beim Treffen mit Merkel nicht verändern. So bleibt die Frage: Wie gefährlich kann Trumps Isolationismus für Europa und die Welt werden? Dieser Besuch Merkels markierte den Beginn einer neuen Ära in den Beziehungen zwischen Deutschland und den USA. Es wird davon abhängen, ob und wenn ja, wie schnell die unterschiedlichen Auffassungen in Kompromisse münden.
Da ist die Europäische Union, die in Trumps Augen besser heute als morgen zerfallen sollte. Legendär ist sein Auftritt auf einem schottischen Golfplatz am Tag nach dem Brexit-Referendum, als er den Rest der EU dazu aufrief, es den Briten nachzumachen. Es ist völlig unklar, ob es Merkel, der überzeugten Europäerin, gelingen kann, den Präsidenten umzustimmen. Ungarn und Polen sind schon auf Abstand zu Brüssel gegangen. Sollte in Frankreich Marine Le Pen die Wahl gewinnen, wäre Europa in seiner jetzigen Form Vergangenheit.
Trumps endgültige Haltung zur Nato ist immer noch ungewiss
Da ist die Zukunft der Nato. Es ist unklar, welche Haltung Trump zu dem westlichen Verteidigungsbündnis einnimmt. Einmal nennt er die Nato wichtig, ein anderes Mal obsolet. Am Freitag sagte der US-Präsident der Allianz seine Unterstützung zu, forderte aber, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten mehr Geld aufbringen sollen. Das wird zum Problem für die Kanzlerin. Höhere Militärausgaben sind in Deutschland unpopulär und kein gutes Thema für den Bundestagswahlkampf.
Da ist die Sache mit dem Handel. Zwar hat Merkel noch kurz vor dem Abflug nach Washington erklären lassen, dass der Handel frei und die Märkte offen bleiben müssten. Aber Trump ist auch deswegen zum Präsidenten gewählt worden, weil er auf Abschottung und Importzölle setzt. Obamas transpazifisches Handelsabkommen hat er abgeräumt. Der transatlantische Pakt TTIP dürfte folgen. Auch das ist ein Problem für Merkel, weil die TTIP-Gegner in Deutschland nun einen Verbündeten in Washington haben.
Es ist richtig, von Merkel zu verlangen, sie möge Trump vom europäischen Weg überzeugen, von Freiheit, Solidarität und Weltoffenheit. Es ist auch richtig, sich in „strategischer Geduld“ zu üben, wie ein Kanzlerinnen-Berater gesagt hat. Mit Obama hätte das geklappt. Mit Bush vielleicht auch. Was aber, wenn Trump sich nicht überzeugen lässt, weil er schon viel zu sehr von sich selbst überzeugt ist?
