Kampagne "Spät. Aber nicht zu spät! Operation Last Chance II" Kampagne "Spät. Aber nicht zu spät! Operation Last Chance II": Mit Plakaten nach letzten Nazi-Verbrechern suchen

Berlin/MZ - Operation Last Chance II, das klingt ein wenig nach Hollywood-Film. Tatsächlich ist es der Titel einer Kampagne des Simon-Wiesenthal-Zentrums.
Mit Hilfe von Plakaten und einer ausgelobten Belohnung von bis zu 25 000 Euro sollen die letzten noch lebenden NS-Verbrecher in Deutschland aufgespürt und vor Gericht gebracht werden. Gestern stellte Efraim Zuroff, der Leiter des Israel Büros des Simon-Wiesenthal-Zentrums, die Plakat-Kampagne in Berlin vor. Insgesamt werden die Plakate zwei Wochen lang in Berlin, in Hamburg und in Köln aufgehängt.
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, begrüßte die Aktion: „Gerechtigkeit kennt keine Verfallszeit“, sagte Graumann gestern. Und hier gehe es um Gerechtigkeit.
„Spät. Aber nicht zu spät! Operation Last Chance II“ ist das Motto der Aktion. Etwa 40 bis 60 NS-Täter – Angehörige mobiler Einsatztruppen oder Aufseher in den Vernichtungslagern des NS-Regimes – könnten noch leben und für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden, schätzt eine Mitarbeiterin des Simon-Wiesenthal-Zentrums. Sensationelle Festnahmen erwartet sie nicht. In der Regel dürfte es sich um rangniedere Täter handeln, sagte sie der Mitteldeutschen Zeitung.
„Damit leistet man auch einen wichtigen Beitrag gegen Verdrängung und Vergessen.“
Dennoch sei „jede Anklage eine wichtige Erinnerung daran, dass Gerechtigkeit für die Opfer des Holocaust immer noch erreicht werden kann“, erklärte Efraim Zuroff. Er fordert die deutsche Bevölkerung dazu auf, aktiv einen Teil der Verantwortung zu übernehmen. „Damit leistet man auch einen wichtigen Beitrag gegen Verdrängung und Vergessen für die nachfolgenden Generationen“, so Zuroff.
Das Simon-Wiesenthal-Zentrum kämpft weltweit gegen Rassismus, Antisemitismus, Terrorismus und Völkermord und setzt sich für die Förderung von Toleranz ein. Bekannt wurde es mit der weltweiten Suche nach untergetauchten Nazi-Verbrechern und Kollaborateuren. Die Menschenrechts-organisation wurde 1977 von Rabbi Marvin Hier in Los Angeles gegründet, wo auch ihr Hauptsitz ist. Das Zentrum ist nach dem österreichischen Juden Simon Wiesenthal (1908-2005) benannt. In der NS-Zeit verlor Wiesenthal durch den Holocaust Dutzende Angehörige und forschte nach dem Zweiten Weltkrieg weltweit nach Nazi-Tätern.
Bereits im April dieses Jahres war eine Liste mit Namen von fünfzig noch lebenden mutmaßlichen Aufsehern des Vernichtungslagers Auschwitz aufgetaucht. Nach dem Urteil gegen John Demjanjuk 2009 hatte die Zentrale Ermittlungsstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg die Ermittlungen gegen sie (wieder) aufgenommen. Demjanjuk wurde wegen Beihilfe zum Mord verurteilt, ohne dass man ihm eine direkte Tatbeteiligung nachweisen konnte. Diese Rechtsauffassung ist nun auch die Grundlage der Ermittlungen gegen weitere ehemalige NS-Täter.
Unterdessen wurden auch kritische Stimmen laut. Der deutsch-israelische Historiker Michael Wolffsohn kritisiert die vom Simon-Wiesenthal-Zentrum ausgesetzte Belohnung bei der Suche nach untergetauchten Nazi-Verbrechern in Deutschland.
Ein solches „ausgeschriebenes Kopfgeld“ sei „pietätlos und schamlos“, sagte Wolffsohn gestern dem Deutschlandradio Kultur. Zudem sei ein Aufwiegen der NS-Verbrechen mit Zahlen absurd. Viel wichtiger sei es, dass eine solide, intensive Aufarbeitung der NS-Verbrechen weitergehe, forderte Wolffsohn.
Die Aktion „Spät. Aber nicht zu spät!“ ruft nach Einschätzung des Historikers eher Mitleid mit den betagten Kriegsverbrechern hervor. Ähnlich sei dies auch mit dem Prozess gegen den inzwischen verurteilten früheren KZ-Aufseher John Demjanjuk gewesen.
„Ich finde es geradezu pietätlos und schamlos: 25.000 Euro für Schwerstverbrecher“, kritisierte der ehemalige Professor an der Münchner Bundeswehr-Universität. Mit einer moralisch intensiven Aufarbeitung habe das nichts mehr zu tun.
