1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Jetzt live: Jetzt live: Bundestag stimmt über das neue Infektionsschutzgesetz ab

Jetzt live Jetzt live: Bundestag stimmt über das neue Infektionsschutzgesetz ab

18.11.2020, 10:11
Teilnehmer einer Demonstration gegen die Corona-Einschränkungen der Bundesregierung stehen nahe dem Reichstagsgebäude auf der Marschallbrücke.
Teilnehmer einer Demonstration gegen die Corona-Einschränkungen der Bundesregierung stehen nahe dem Reichstagsgebäude auf der Marschallbrücke. dpa

Berlin - In Krisenzeiten geht Gesetzgebung manchmal besonders schnell - bei der Euro-Rettung oder jetzt wieder in einer brenzligen Phase der Corona-Pandemie. An diesem Mittwoch soll das „Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ besiegelt werden.

Hier können Sie die Abstimmung zum Corona-Schutzgesetz im Bundestag live verfolgen:

Hinter dem sperrigen Titel verbergen sich praktische Regelungen etwa zu Verdienstausfällen für Eltern oder Urlaubsrückkehrer. Aber auch Änderungen im Infektionsschutzgesetz. Die sollen massive Alltagsbeschränkungen für Millionen Bürger und Firmen auf eine genauere, festere Rechtsgrundlage stellen - und zwar so, wie sie das Parlament absteckt. Es gibt aber scharfe Proteste.

Was passiert am Mittwoch genau?

Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident - diese drei Verfassungsorgane sind beteiligt, um das Gesetz in Kraft zu setzen. Zunächst wird das Parlament ab 12 Uhr den Entwurf in zweiter und dritter Lesung beraten und voraussichtlich verabschieden. Um 15.00 Uhr folgt eine Sondersitzung der Länderkammer, die ebenfalls zustimmen muss. Dann muss Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Gesetz ausfertigen. Das könnte noch am Mittwoch passieren. Im Präsidialamt wird betont, das geschehe so zügig wie möglich - aber mit der nötigen Sorgfalt.

Ist dieses Verfahren ungewöhnlich?

Normalerweise braucht ein Gesetz auf dem Weg durch die Instanzen viel länger. Dass der Bundesrat extra außer der Reihe zusammentritt, passiert höchst selten. Und es dauert sonst auch länger, bis ein Gesetz vom Staatsoberhaupt unterzeichnet wird. Allerdings wurde in diesem Jahr schon einmal ein ähnlich hohes Tempo angeschlagen: Im März gingen die milliardenschweren Corona-Hilfspakete an einem Tag durch den Bundestag - mit erster, zweiter, dritter Lesung und Ausschussberatungen. Zwei Tage später passierte es den Bundesrat und stand am Abend im Bundesgesetzblatt. Jetzt gab es Anfang November eine erste Lesung im Parlament und auch noch eine Expertenanhörung.

Warum wird das Infektionsschutzgesetz überhaupt geändert?

Dass Kanzlerin und Ministerpräsidenten in der Corona-Krise regelmäßig festzurren, welche Vorgaben und Beschränkungen kommen sollen, sorgt zusehends für Kritik. Sollen Regierungen über Monate hinweg per Verordnung tiefe Grundrechtseingriffe vornehmen? Bisher stützen sich die Länder auf generelle Klauseln des Bundesinfektionsschutzgesetzes, das eine solche Pandemie nicht vorhersah. Nun sollen genauere und präzisere Vorgaben in einem neuen Paragrafen 28a eingefügt werden. Der listet die bekannten möglichen Maßnahmen - von Maskenpflicht über Kontaktbeschränkungen bis zu Ladenschließungen - einzeln auf und schafft dafür eine Gesetzesbasis.

Welche Rahmen-Vorgaben sollen künftig gelten?

Das Gesetz soll „Leitplanken“ für Maßnahmen der zuständigen Länder schaffen, wie SPD-Rechtsexperte Johannes Fechner erläutert. Das soll größere Rechtssicherheit und auch mehr bundesweite Einheitlichkeit bringen. Konkret soll für Verordnungen unter anderem eine Pflicht zur öffentlichen Begründung kommen. Und eine Pflicht, sie grundsätzlich auf vier Wochen zu befristen. Die Dauer soll aber zu verlängern sein. Bei religiösen Zusammenkünften und Demonstrationen - die besonderen Grundrechtsschutz genießen - sollen Maßnahmen nur zulässig sein, „soweit auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen“ die Corona-Eindämmung „erheblich gefährdet wäre“.

Welche praktischen Krisenmaßnahmen bringt das Gesetz?

Vorgesehen sind unter anderem neue Regeln bei Verdienstausfällen. So sollen Entschädigungsansprüche für Eltern bis März 2021 verlängert und erweitert werden, die wegen einer Kinder-Betreuung nicht arbeiten können. Wer eine „vermeidbare Reise“ in ausländische Risikogebiete macht, soll dagegen für eine nach Rückkehr nötige Quarantäne keine Entschädigung für Verdienstausfall bekommen. Der Bund soll regeln können, dass auch Nichtversicherte Anspruch auf Schutzimpfungen und Tests haben. Bei Bedarf sollen Kapazitäten tiermedizinischer Labore für die Auswertung von Corona-Tests genutzt werden können. Kiniken, die Operationen aussetzen, sollen finaziellen Ausgleich bekommen.

Ist massive Kritik - Stichwort: „Ermächtigungsgesetz“ - haltbar?

Nein. Mit dieser Bezeichnung verbindet man das Gesetz, mit dem sich das deutsche Parlament als demokratische Institution im März 1933 selbst abgeschafft hat. Die NS-Regierung erhielt durch das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ das Recht, ohne Zustimmung von Reichstag und Reichsrat sowie ohne Gegenzeichnung durch den Reichspräsidenten Gesetze zu erlassen. Die Gewaltenteilung, Grundlage jedes Rechtsstaats, war komplett aufgehoben. Von einem dauerhaften Außerkraftsetzen grundlegender demokratischer Prinzipien kann heute keine Rede sein - auch wenn die Regierung in der Corona-Krise weitgehendere Kompetenzen erhalten hat, Verordnungen zu erlassen.

Was sagt die Opposition im Parlament dazu?

Auch die FDP, die die Pläne stark kritisiert, weist das Schlagwort „Ermächtigungsgesetz“ entschieden zurück. „Ja, wir erleben eine massive Beschränkung von Grundrechten“, sagte Vize-Fraktionschef Stephan Thomae. „Aber wir erleben keinen inneren Notstand. Es ist keine Diktatur. Es ist nicht so, dass die Demokratie abgeschafft wäre. Die Verfassung gilt, die Gewaltenteilung funktioniert, die Justiz arbeitet.“ Die AfD fordert eine „Ständige Epidemiekommission“, die Kriterien zum Feststellen einer nationalen epidemischen Lage erarbeiten soll. Dieter Janecek (Grüne) bemängelte, die Regelungen blieben „so rechtlich unbestimmt und ungenau wie die bisherige Rechtslage“. Die Linke kritisierte Inhalt und den knappen zeitlichen Rahmen des ganzen Verfahrens.

Bundestag stimmt über drittes Be­völ­ke­rungs­schutz­gesetz ab

Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen

Mit dem Gesetzentwurf wollen die Koalitionsfraktionen Reichweite und Grenzen des Regierungshandelns vorgeben, indem Regelbeispiele etwaiger Schutzmaßnahmen benannt werden. Für den Kulturbereich heißt es etwa, bei Untersagungen oder Beschränkungen müsse der Bedeutung der Kunstfreiheit ausreichend Rechnung getragen werden. Beschränkungen vor allem des Wirkbereichs könnten erforderlich sein, um die Infektionszahlen zu verringern.

Die Reduzierung persönlicher Kontakte in Einrichtungen des Gesundheits- oder Sozialwesens etwa durch Besuchs- und Betretungsbeschränkungen dienten bei steigenden Infektionszahlen dazu, eine Ausbreitung der Infektionen in diesen Einrichtungen zu verhindern. Gerade bei alten und vorerkrankten Menschen könne eine Infektion mit dem Coronavirus zu schweren und nicht selten tödlichen Krankheitsverläufen führen. Auch bestehe für die Beschäftigten ein erhöhtes Risiko sodass die Reduzierung persönlicher Kontakte auch dazu diene, die Leistungsfähigkeit des Gesundheits- und Sozialwesens zu sichern.

Eingriffe in Glaubens- und Versammlungsfreiheit

Weiter heißt es, Beschränkungen von religiösen Zusammenkünften seien auch dann streng zu prüfen, wenn der Eingriff in die Glaubensfreiheit dazu diene, eine übertragbare Krankheit zu bekämpfen. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit seien nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig. Ein Verbot der Versammlung komme nur als Ultima Ratio im Einzelfall in Betracht. Intensive Grundrechtseingriffe dauerten grundsätzlich vier Wochen, könnten aber verlängert werden.

Die bislang vorgesehenen Regelungen zum Reiseverkehr werden im Fall einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite im Paragrafen 36 des Infektionsschutzgesetzes zusammengeführt. Sie werden unter anderem so geändert, dass vor allem eine digitale Einreiseanmeldung nach Aufenthalt in Risikogebieten verordnet werden kann, um eine bessere Überwachung durch die zuständigen Behörden zu ermöglichen. Der Begriff des Risikogebiets wird im Gesetz definiert.

Förderprogramme des Bundes

Auch Flughäfen und Häfen mit bestimmten Kapazitäten sollen durch ein Förderprogramm des Bundes unterstützt werden, damit sie ihren Verpflichtungen nachkommen können. Die angestrebte Digitalisierung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes soll durch ein Förderprogramm des Bundes und eine Unterstützung bei den zentralen Diensten gestärkt werden. Das elektronische Melde- und Informationssystem nach dem Infektionsschutzgesetz (Demis) setze eine bundesweit einheitliche Datenverarbeitung sowie die für die Nutzung dieser Daten erforderliche Betriebsinfrastruktur voraus, heißt es in der Beschlussempfehlung.

Die meldepflichtigen Labore sollen nun verpflichtet werden, künftig eine Sars-CoV-2-Meldung über dieses System vorzunehmen. Zudem soll in Bezug auf weitere Meldepflichten und Meldepflichtige eine solche Pflicht schrittweise bis Ende 2022 eingeführt werden. Beim Robert Koch-Institut werden neuartige Instrumente wie eine viren- und syndrombezogene Überwachung vorgesehen. Auf die nichtnamentliche Meldepflicht in Bezug auf eine Sars-CoV-2-Infektion wird zugunsten der Konzentration auf die namentliche Positivmeldung verzichtet.

Kein Verdienstausfall bei vermeidbaren Risikogebiet-Reisen

Um vorhandene Testkapazitäten umfassend nutzen zu können, soll der Arztvorbehalt nach Paragraf 24 des Infektionsschutzgesetzes in Bezug auf patientennahe Schnelltests auf das Coronavirus Sars-CoV-2 und auf die Nutzbarkeit veterinärmedizinischer Laborkapazitäten modifiziert werden. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen während der Pandemielage werden auch die Vorschriften zum Vollzug des Infektionsschutzgesetzes durch die Bundeswehr angepasst.

Eine Entschädigung wegen Verdienstausfalls soll künftig auch dann ausgeschlossen sein, wenn der Verdienstausfall auf eine vermeidbare Reise in ein Risikogebiet zurückzuführen ist. Die Entschädigungsregelung soll bis Ende März 2021 verlängert werden. Gleichzeitig wird eine entsprechende Entschädigung ermöglicht, wenn jemand eine Person in Quarantäne betreuen muss. Klargestellt wird auch, dass eine Pflicht von Arbeitgebern zur Zahlung der Umlagen U1 (Krankheitsumlage), U2 (Mutterschaftsumlage) und U3 (Lohnfortzahlung im Insolvenzfall) an die Krankenkassen weiterhin besteht.

Anspruch auf Impfung, Testung, Schutzmasken

Im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) wird darüber hinaus geregelt, dass, soweit dies im Rahmen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite erforderlich ist, sowohl Versicherte als auch Nichtversicherte einen Anspruch auf Schutzimpfung, Testung und Schutzmasken haben können, wenn eine Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums dies vorsieht. Die Rechtsverordnung soll für die entsprechenden Leistungen auch die Vergütung und Abrechnung regeln können.

Geplant ist die Einrichtung von Impfzentren. Die Impfkosten sollen ohne Einzelfallabrechnung pauschal finanziert werden. Vorgesehen ist eine Beteiligung der privaten Krankenversicherungen in Höhe von sieben Prozent der nicht von Bund oder Ländern getragenen Kosten.

„Erhebliche Eingriffe in grundrechtliche Freiheiten“

Die bisher vor allem auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie führten teilweise zu erheblichen Eingriffen in grundrechtliche Freiheiten, stellt der Gesundheitsausschuss fest. Sie dienten dem Schutz der Bevölkerung vor Infizierungen mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 und der Gewährleistung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.)

Um den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Parlamentsvorbehalts aus Artikel 80 Absatz 1 Satz 1 und Satz 2 des Grundgesetzes angesichts der länger andauernden Pandemielage und der fortgesetzt erforderlichen eingriffsintensiven Maßnahmen zu entsprechen, müssten Dauer, Reichweite und Intensität möglicher Maßnahmen gesetzlich präzisiert werden.

Erstes und zweites Bevölkerungsschutzgesetz

Die Koalitionsfraktionen erinnern an das am 25. März 2020 vom Bundestag verabschiedete Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (19/18111, 19/18156, 19/18168, 19/18160), das sogenannte erste Bevölkerungsschutzgesetz, und an das am 14. Mai 2020 verabschiedete zweite Bevölkerungsschutzgesetz (19/18967, 19/19216, 19/19217). Die darin getroffenen Maßnahmen sollten zum einen das Funktionieren des Gesundheitswesens in der Coronavirus Sars-CoV-2-Pandemie sicherstellen und zum anderen die mit dieser besonderen Situation verbundenen negativen finanziellen Folgewirkungen abmildern.

Das Bundesgesundheitsministerium sei mit der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach Paragraf 5 Absatz 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes vom Bundestag ermächtigt worden, durch Anordnung oder Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie zu ergreifen, die im Wesentlichen bis zum 31. März 2021 beschränkt sind. Mit dem zweiten Bevölkerungsschutzgesetz seien die Regelungen und Maßnahmen weiterentwickelt und ergänzt worden. (Quelle: bundestag.de)

An diesem Mittwoch wird in Bundestag und Bundesrat über weitere Änderungen am Infektionsschutzgesetz abgestimmt.
An diesem Mittwoch wird in Bundestag und Bundesrat über weitere Änderungen am Infektionsschutzgesetz abgestimmt.
dpa
Teilnehmer einer Demonstration gegen die Corona-Einschränkungen der Bundesregierung stehen nach dem Brandenburger Tor an einer Absperrung Polizisten gegenüber.
Teilnehmer einer Demonstration gegen die Corona-Einschränkungen der Bundesregierung stehen nach dem Brandenburger Tor an einer Absperrung Polizisten gegenüber.
dpa