1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Jamaika-Scheitern: Jamaika-Scheitern: Kalkül statt Überzeugung: Die Taktik des Christian Lindner

Jamaika-Scheitern Jamaika-Scheitern: Kalkül statt Überzeugung: Die Taktik des Christian Lindner

Von Timot Szent-Ivanyi 20.11.2017, 12:53
FDP-Chef Christian Lindner
FDP-Chef Christian Lindner dpa

Berlin - Es war eine Woche vor der Bundestagswahl, da sinnierte Christian Lindner bei einem Gespräch im kleinen Kreis über die Notwendigkeit von Neuwahlen, sollte sich abzeichnen, dass die Liberalen bei Koalitionsverhandlungen Abstriche von den geforderten politischen „Trendwenden“ machen müssen. Das Argument, Parteien hätten die eine staatsbürgerliche Verantwortung, für stabile Verhältnisse zu sorgen und müssten daher kompromissfähig sein, ließ der FDP-Chef nicht gelten.  Zwei Monate später weiß die gesamte Republik, dass Lindner es bitter ernst meint. Aber was treibt den 38-Jährigen, den das Magazin Focus nach der Bundestagswahl zum „Mächtigsten Mann Deutschland“ hochgejubelt hatte?

Das Trauma der FDP

Hilfreich ist ein Blick zurück: Das Trauma der FDP ist die schwarz-gelbe Koalition zwischen 2009 und 2013, die zum Rausschmiss der Liberalen  aus dem Bundestag führte. Die FDP galt als wortbrüchig, weil sie die versprochenen Steuersenkungen gegen den Widerstand der Union nicht durchsetzen konnte. „Der Vorhang für die Koalition war damit im Grunde genommen fallen – nur das die Darsteller noch drei Jahre auf der Bühne weiterspielten, während das Publikum längst enttäuscht die Ausgänge suchte“, so beschreibt Lindner die damalige Situation in seinem Buch „Schattenjahre“. Die FDP habe macht- und orientierungslos gewirkt, Kanzlerin Angela Merkel sei als „eine Art Erziehungsberechtigte der pubertierenden FDP“ aufgetreten.  Er habe sich geschworen, so etwas dürfe nie wieder passieren, so das Fazit des FDP-Chefs.

Die Angst, bei Kompromissen erneut als Umfallerpartei zu gelten und damit endgültig von der politischen Bühne zu verschwinden, sitzt bei Lindner sehr tief. Doch das erklärt nicht allein, warum er sich zu diesem radikalen Schritt entschlossen hat. Denn tatsächlich haben Union und Grünen den Liberalen weitreichende Zugeständnisse gemacht. Die FDP hätte erhobenen Hauptes aus den Sondierungsverhandlungen herausgehen können. Das Thema Familiennachzug, bei dem Lindner in den letzten Runden übertriebene Härte zeigte, war für die FDP im Wahlkampf gar kein Kernpunkt: Als Lindner zusammen mit dem nordrhein-westfälischen Integrationsminister Joachim Stamp kurz vor der Bundestagswahl  die Pläne der FDP zur Migrationspolitik vorstellte, wurde das Thema nur auf Nachfrage von Journalisten und dann auch nur sehr vage behandelt.

Die FDP fischt am rechten Rand der Union

Es drängt sich daher der Verdacht auf, Lindner habe die Verhandlungen aus rein taktischen Gründen scheitern lassen. Offenbar hat er während der Sondierungsgespräche immer mehr Gefallen an der Idee von Neuwahlen gefunden, um am Ende mehr Stimmen zu bekommen als bei der Abstimmung am 24. September.  Die Härte in der Ausländerpolitik zeigt das Ziel: Fischen am rechten Rand  der Union und am  gemäßigten Rand der AfD. Zudem will Lindner bei Politikverdrossenen damit punkten, dass er sich als jemand präsentiert, dem seine Überzeugungen wichtiger sind als irgendwelche Posten in einer Regierung. Auch das zielt auf die Wählerschaft der AfD.

Geht der Plan auf, wird die FDP bei neuen Koalitionsverhandlungen mehr durchsetzen können als bei den nun gescheiterten Jamaika-Sondierungen. Aber selbst dann, wenn die FDP wider Erwarten in der Opposition landet, kann sich Lindner beruhigt zurücklehnen. Er kann die Zeit nutzen, die FDP weiter zu stabilisieren und neues Personal aufzubauen. So sehr es Lindner genießt, der unbestrittene Star der FDP zu sein, weiß auch er, dass eine Ein-Mann-Partei auf Dauer keine Zukunft hat.

Es gibt auch Zweifler

Seine Partei wird ihm folgen, Lindner ist unumstritten und wird als Retter der Partei verehrt. Doch wer sich die Bilder seines Auftritts Sonntagnacht anschaut, sieht die versteinerten Gesichter von Landesminister Volker Wissing,  Generalsekretärin Nicola Beer oder Parteivize Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Sie scheinen von Lindners Schritt überrascht worden zu sein. Einige von ihnen hatten kurz zuvor noch von guten Fortschritten berichtet. Auch in den Tagen zuvor lobten die Unterhändler der FDP immer wieder sowohl die Grünen als auch die Union. Die  Entscheidung stellt gleichwohl niemand offen in Frage. Zweifel gibt es aber: „Ich  bin nicht sicher, ob das richtig ist“, sagt ein Liberaler, der ausdrücklich nicht namentlich genannt werden möchte.