Regierungsbildung Jamaika gescheitert: Diese Szenarien sind jetzt denkbar

Berlin - Besser nicht regieren als falsch regieren“: Der Satz, mit dem FDP-Chef Christian Lindner in der Nacht zum Montag die Sondierungen für eine Jamaika-Koalition aus Union, Liberalen und Grünen platzen ließ, mag für eine Partei gelten. Die Bundesrepublik dagegen kann nicht nicht regiert werden. Das betonte am Montagnachmittag auch ein ernst blickender und nachdrücklich sprechender Bundespräsident: „Ich erwarte von allen Gesprächsbereitschaft, um eine Regierungsbildung in absehbarer Zeit möglich zu machen“, sagte er nach einem Treffen mit CDU-Chefin Angela Merkel – und ermahnte damit indirekt vor allem FDP und SPD, ihre bisherige Verweigerungshaltung zu überdenken: „Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewerbe, darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält.“
Was hat Steinmeier jetzt vor?
Neuwahlen will der Bundespräsident zunächst möglichst vermeiden. Davor will sich Steinmeier mit den Spitzen der anderen Verfassungsorgane beraten – den Präsidenten von Bundesverfassungsgericht, Bundestag und Bundesrat – vor allem aber die Parteichefs der Jamaika-Sondierungsparteien einladen sowie die Vorsitzenden der Parteien mit „politischen Schnittpunkten“, zumindest also Martin Schulz. Ein Treffen mit dem SPD-Chef ist für Mittwoch geplant.
Kommt jetzt doch eine neue Große Koalition?
Am Montagmittag beschloss der SPD- Parteivorstand es erneut und einstimmig: Für eine neue GroKo stehe man nicht bereit. „Wir halten es für wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger die Lage neu bewerten können“, heißt es in dem Papier. „Wir scheuen Neuwahlen unverändert nicht. Wir stehen angesichts des Wahlergebnisses vom 24. September für den Eintritt in eine Große Koalition nicht zur Verfügung.“ Zur Begründung betonte Schulz wenig später, dass Union und SPD bei der Bundestagswahl zusammen rund 14 Prozentpunkte verloren hätten. Damit sei die große Koalition abgewählt worden. Auch eine Minderheitsregierung halte er für „nicht praktikabel“, sodass er von Neuwahlen ausgehe. Für die Zeit danach schloss er jedoch keine Regierungskonstellation aus.
Das kann als Hinweis darauf verstanden werden, dass die SPD auf eine Ablösung Angela Merkels an der CDU-Spitze hofft. Spekuliert wird nun über die Frage, ob sich die Sozialdemokraten unter dieser Voraussetzung auch ohne Neuwahlen für eine GroKo erwärmen könnten. So rückte der Sprecher des konservativen SPD-Flügels, Johannes Kahrs, am Montag bereits vom klaren Nein dazu ab. Falls Merkel sich zurückziehe, könnte die SPD „über eine große Koalition neu nachdenken“, sagte auch SPD-Wirtschaftspolitiker Harald Christ dem Handelsblatt.
Kann Angela Merkel eine Minderheitsregierung schmieden?
Die Möglichkeit einer Minderheitsregierung, „die von Stimmen aus der AfD abhängig wäre“, schloss Angela Merkel aus. In so einem Fall wären Neuwahlen dann der bessere Weg.
Ohne Parlamentsmehrheit wäre eine Minderheitsregierung dann immer auf das Wohlwollen von entweder FDP, Grünen oder aber SPD angewiesen – das stärkt einerseits das Parlament, ist aber eine Einladung zu taktischen Spielchen und dadurch auf Dauer instabil. (mit dpa)
Wer kann Neuwahlen herbeiführen – und wie schnell?
Um Neuwahlen zu ermöglichen, muss das Parlament aufgelöst werden. Dies kann der Bundestag nicht selbst tun, sondern nur ein amtierender Bundeskanzler, der die Vertrauensfrage stellt und verliert. Merkel selbst hat diese Möglichkeit aktuell nicht, da sie seit der Konstituierung des neuen Bundestages als Bundeskanzlerin nur noch geschäftsführend im Amt ist. Um dem Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen, müsste sie sich erst per „Kanzlermehrheit“ ins Amt wählen lassen – um dann, wie 2005 SPD-Kanzler Gerhard Schröder – die Vertrauensfrage nur zu stellen, um sie zu verlieren. Das müssten im Zweifel dieselben Abgeordneten tun, die sie zuvor gewählt haben. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte diesen Weg als grundgesetzgemäß.
Der Bundespräsident kann den Weg verkürzen: Er ist bei einer gescheiterten Kanzlerwahl berechtigt, das Parlament aufzulösen. Steinmeier muss dem Parlament also zunächst einen Kandidaten vorschlagen. Das wäre wohl Merkel, weil die Union als stärkste Kraft aus den Bundestagswahlen hervorgegangen ist. Nur wenn Merkel in zwei Wahlgängen nicht die absolute Mehrheit und im dritten nicht die relative Mehrheit der Stimmen erhält, kann der Bundespräsident anschließend den Bundestag auflösen. Dann müssten binnen 60 Tagen Neuwahlen stattfinden.
Was würden Neuwahlen kosten?
Ein heikler Punkt, den vor allem die populistischen Parteien in einem möglichen Wahlkampf betonen dürften, sind dabei die Kosten für eine erneute Wahl. Bereits die reguläre Bundestagswahl am 24. September hatte Rekordkosten verursacht: Von mehr als 90 Millionen Euro was das Bundesinnenministerium zuvor ausgegangen. An der Steigerung gegenüber den Ausgaben für die Wahl 2013 von rund 77 Millionen Euro seien vor allem die höheren Portokosten für das Versenden von Wahlbenachrichtigungen und Briefwahlunterlagen schuld gewesen. Außerdem erhielten die Wahlhelfer höhere Zuwendungen, nachdem es in den Vorjahren an den Freiwilligen gemangelt hatte.
Wie lange kann die geschäftsführende Regierung weiterregieren?
Das Grundgesetz sieht in Artikel 69 vor, dass der Kanzler „auf Ersuchen des Bundespräsidenten“ sogar „verpflichtet“ ist, die Geschäfte weiterzuführen – „bis zur Ernennung seines Nachfolgers“. Eine Frist ist nicht genannt. Zudem ist ebenda geregelt, dass der Regierungschef die Minister zum Weitermachen zwingen kann – ob Merkel dies täte, wenn die SPD ihre Minister nun kollektiv abzöge, darf bezweifelt werden. Sehr mächtig ist die amtierende Regierung ohnehin nicht mehr: Sie darf die laufenden Geschäfte führen und muss sich ansonsten zurückhalten. Bei einigen Abstimmungen auf EU-Ebene hat Deutschland sich seit der Wahl bereits enthalten. Regierungssprecher Steffen Seibert wollte zugleich aber auch „keinerlei Veränderungen an den Terminplänen der geschäftsführenden Bundesregierung ankündigen“ – die Dieselgipfel mit Herstellern und Städten sollen wie geplant noch 2017 stattfinden.
Wie geht es weiter im Bundestag?
Die Linksfraktion forderte am Montag erneut, nicht auf eine Koalition zu warten, sondern alle Ausschüsse der vergangenen Wahlperiode wieder einzusetzen. Die Abgeordneten müssten jetzt ihre Verantwortung wahrnehmen statt womöglich bis zum Frühjahr zu warten. Bislang war geplant, die Ausschüsse entsprechend der Ministeriumszuschnitte der neuen Regierung zu bilden. Offen ist auch, ob das geschäftsführende Kabinett sich vom neuen Bundestag in Zweifelsfragen – etwa der Verlängerung von Bundestagsmandaten – Mehrheiten auch ohne Koalitionsbildung abholen will.
