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Jahr der Mathematik Jahr der Mathematik: Warum 0,999 Periode nicht kleiner als 1 ist

Von Ulrike von Leszczynski 24.04.2008, 12:41

Berlin/dpa. - Am Samstag (26. April) bekommt sie im Jahr der Mathematik einen ungewöhnlichen Preis: Für die klügste Frage, die eine Schülerin in den vergangenen Jahren Mathematikprofessoren gestellt hat. Denn als 12-Jährige wollte Lina ein Problem lösen, das Mathematiker mehr als 200 Jahre lang beschäftigt hat - bevor sie im 19. Jahrhundert die Lösung fanden.

Der Berliner Mathematiker Ehrhard Behrends war regelrecht verzückt, als Lina ihm im Jahr 2002 eine E-Mail schrieb. «Ich bin in der sechsten Klasse und wir haben gerade periodische Dezimalbrüche durchgenommen», stand darin. Ihre Lehrerin habe behauptet, 0,999 Periode seien 9/9, also 1. «Das kann aber doch nicht sein», argumentierte Lina. «0,999 ist doch ein Unendlichstel kleiner als 1.» Zuvor hatte sie mit der Mathelehrerin und ihrer Mutter, einer Physiklehrerin, lange diskutiert. «Ich habe ihnen das mit der 1 aber einfach nicht geglaubt», sagt sie heute schmunzelnd. Darum schrieb sie ihr Problem einem Universitätsprofessor.

Behrends lehrt noch immer Mathematik an der Freien Universität Berlin. Eine seiner Missionen ist es, Begeisterung für sein Fach zu wecken - auch bei Kindern. Denn den Matheunterricht an Schulen schätzt der Professor wenig. Zu oft würden sich Lehrer und Schüler im Formalen und Abstrakten verlieren, kritisiert er. «Das ist, als ob man einen Klavierschüler nur Tonleitern üben lässt - aber niemals eine Sonate spielen», sagt er. Behrends gut besuchte Homepage «mathematik.de» enthält neben einer Erste-Hilfe-Rubrik für Schüler auch Knobelaufgaben oder Spiele.

Kniffelige Schüler-Fragen auf seiner Internet-Seite beantwortet Behrends gern selbst. Linas Grenzwert-Problem reichte er an Universitätskollegen weiter, die sich lange die Köpfe zerbrachen: Wie lässt sich einem Kind Mathe für die Oberstufe erklären? Wie können Professoren Lina auf nette Art beibringen, dass sie Unrecht hat - weil zwischen 0,999 Periode und 1 keine weitere Zahl liegt und ein Unendlichstel nichts anderes ist als Null?

Lina hat sich damals artig für die Bemühungen der Hochschullehrer bedankt - und das Ergebnis akzeptiert. Dass sie nun als Abiturientin noch eine E-Mail von der Freien Universität bekam, hat sie sehr überrascht. «Ich habe meine Frage damals nicht als so bedeutend empfunden», sagt sie. Über den Preis der Deutschen Mathematiker-Vereinigung freut sie sich nun umso mehr: Die Professoren schenken ihr eine Reise in die Hauptstadt - zum Berliner Tag der Mathematik am 26. April.

Lina Elbers ist heute eine selbstbewusste junge Frau, die im Herbst ein Physikstudium im Ruhrgebiet beginnen möchte. Zur Zeit steckt sie mitten im Abitur. Wenn sie Zeit findet, geht sie gern mit Freunden aus. «Ich bin ein völlig normaler Teenager», versichert sie. Sie spielt Oboe im Orchester der Essener Goetheschule und liest gern - auch mal Schiller oder Goethe.

Dass sie die elfte Klasse mühelos übersprang, erzählt Lina nicht sofort. Auch nicht, dass sie sich im Matheunterricht oft gelangweilt hat. Linas Freude am Fach weckten ihre Mutter und ihre ältere Schwester, zum Beispiel mit Knobelaufgaben. Daran kann sich Lina tagelang festbeißen. «Mathe ist für mich wie ein gutes Gefühl», sagt sie. «Ich mag, dass Rechnen so logisch ist und sich sehr komplexe Dinge damit lösen lassen.»

Ehrhard Behrends spricht gern von mathematischen Wahrheiten, die ewig sind. «Das Buch der Natur ist in der Sprache der Mathematik geschrieben», betont er. Ihn reizt an seinem Fach die Berechnung des Zufalls. Dass er Lina am Samstag ihren Preis übergeben kann, hing gleich an zwei Zufällen: Der ordentliche Mathematiker Behrends bewahrte Linas Brief sechs Jahre lang auf - und sie hat ihre Mail- Adresse nicht geändert.