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Interview Interview: SPD-Chef Sigmar Gabriel zu Mindestlohn und Strompreisbremse

22.02.2013, 16:00
SPD-Chef Sigmar Gabriel
SPD-Chef Sigmar Gabriel ARCHIV/DPA Lizenz

Herr Gabriel, erst steigt Schwarz-Gelb aus der Atomkraft aus, dann tritt die Kanzlerin für die Finanztransaktionssteuer ein, und jetzt erwärmt sich selbst die FDP für den Mindestlohn.  Muss die SPD um ihre Wahlkampfthemen fürchten?

Sigmar Gabriel: Wenn es so wäre, müsste man ja froh sein, weil es dann in Deutschland besser laufen würde. Aber die Energiewende wird von der Bundesregierung gerade gegen die Wand gefahren. Bei der Finanztransaktionssteuer mussten SPD und Grüne die Regierung im Zusammenhang mit dem Fiskalpakt geradezu pressen. Doch nun zeigt sich, dass das Wort von Frau Merkel nicht viel wert ist, weil sie nichts gegen die Blockade durch die FDP tut. Und beim Mindestlohn merken wir, dass auch dort CDU und FDP Etikettenschwindel betreiben. Wir haben es mit einer Regierung der professionellen Anscheinserwecker zu tun. In der Realität tut sich gar nichts.

 

Immerhin spricht nun selbst FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler von „fairen Löhnen“.

Gabriel: Aber was heißt das denn? Der Mindestlohn ist nicht beliebig. Es ist der Lohn, den ein Mensch verdienen muss, damit er nach Vollzeitarbeit nicht mehr zum Sozialamt rennen muss. Heute arbeiten fünf bis sechs Millionen Menschen für weniger als acht Euro in der Stunde. 1,3 Millionen arbeiten für weniger als fünf Euro. Diese Löhne sind trotz Vollzeitarbeit niedriger als das, was jemand bekommt, der überhaupt nicht arbeitet. Das ist würdelos. Damit muss Schluss sein. Sozial ist nicht, was Arbeit schafft, sondern sozial ist, was Arbeit schafft, von der man leben kann.

 

Erwarten Sie  wirklich, dass der Bundestag der Mindestlohn-Initiative folgen wird, die SPD und Grüne nächste Woche mit ihrer neuen Mehrheit im Bundesrat starten wollen?

Gabriel: Wir wollen jetzt einfach mal wissen, ob CDU/CSU und FDP bereit sind, tatsächlich etwas zu tun. Oder ob das alles nur hohle Ankündigungen sind, um kurz vor der Wahl die Wähler in die Irre zu führen.

 

Aber ganz ehrlich: In der Sache kann die „Gestaltungsmehrheit“ von Rot-Grün im Bundesrat doch  nichts bewegen?

Gabriel: Im Bundesrat gibt es sogar Länder, in denen die CDU mitregiert, die unserem Antrag zustimmen wollen. Mal sehen, ob Frau Merkel denen das erlaubt. Dann wächst der Druck auch im Bundestag. In jedem Fall führt die Abstimmung im Bundesrat dazu, dass Union und FDP Farbe bekennen müssen. Diese Taschenspielertricks von Frau Merkel müssen doch mal ein Ende haben. Den Menschen immer kurz vor Wahlen Hoffnungen machen und danach nichts tun, das ist es doch, was die Politikverdrossenheit antreibt. Im Übrigen  habe ich immer gesagt: Viel wichtiger ist die Bundesratsmehrheit für den Fall einer Regierungsübernahme im Herbst. Dann können wir nämlich ganz anders gestalten, als wenn wir in der Länderkammer keine Mehrheit hätten.  

 

Eines der ersten rot-grünen Projekte wird dann die doppelte Staatsbürgerschaft sein?

Gabriel: Ja.

Fürchten Sie nach den negativen Erfahrungen mit der CDU-Unterschriftenaktion in Hessen 1999 nicht, dass das Thema in den Wahlkampf gezogen wird?

Gabriel: Erstens glaube ich, dass die Gesellschaft heute weiter ist. Und zweitens dienen Wahlkämpfe nicht dazu, Konflikte zu verschleiern. In Deutschland geborene Kinder beispielsweise türkischer Eltern müssen sich heute  zwischen deutscher und türkischer Staatsbürgerschaft entscheiden. Ich habe für jeden Verständnis, der hier auf Dauer leben möchte, aber eben nicht seine kulturellen Wurzeln kappen will. Wir brauchen endlich ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht. Und wenn die Union sich tatsächlich traut, noch einmal einen ausländerfeindlichen Wahlkampf zu machen,  wird sie verlieren.

 

Sehen Sie eine Chance, dass sich Regierung und Opposition noch vor der Wahl auf eine Strompreisbremse verständigen?

Gabriel: Nötig wäre es. Aber das, was Herr Altmaier und Herr Rösler vortragen,  würde Unberechenbarkeit und Willkür zum Markenzeichen deutscher Energiepolitik machen. Etwas anderes würde schnell helfen: Die Bundesregierung  darf nicht länger heimlich an den hohen Strompreisen über die Mehrwertsteuer mitverdienen. Das Geld kann man den Menschen zurückgeben, indem man die ersten 500 oder 1000 Kilowattstunden pro Haushalt von der Stromsteuer befreit.

 

Die Grünen wollen die  Ausnahmen der Industrie von der Erneuerbare-Energien-Umlage massiv um  1,5 Milliarden Euro beschneiden.

Gabriel: Ich halte die Zahl nicht für realistisch. Aber es ist grundsätzlich richtig zu überprüfen, welche Betriebe die Ausnahmen wirklich brauchen. Wir müssen nicht irgendwelche Hähnchenmastanlagen von der EEG-Umlage befreien. Aber die Chemiebranche, die Aluminiumhütten oder die Stahlhersteller dürfen nicht aus dem Land getrieben werden. Wir können die Energiewende nur erfolgreich hinkriegen, wenn wir ein erfolgreiches Industrieland bleiben.

 

Ihrem Ziel der Regierungsübernahme ist die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück  in den vergangenen Wochen nicht wirklich nähergekommen. Was läuft falsch beim Kandidaten?

Gabriel: Wir haben zwölf Landtagswahlen in Folge gewonnen. Stephan Weil ist gerade zum Ministerpräsidenten in Niedersachsen gewählt worden. Was will man mehr? Wir pendeln bei den Umfragen um die 30 Prozent, manchmal auch etwas drunter. Ich glaube aber, dass wir eine hervorragende  Chance haben mit der Kombination aus klassischer Kompetenz bei der sozialen Gerechtigkeit, die die SPD ohnehin hat, und der ökonomischen und finanzpolitischen Kompetenz von Steinbrück. 

 

In Niedersachsen hat Stephan Weil komplett geräuschlos einen Regierungswechsel hinbekommen. Was kann die Bundes-SPD  von ihm lernen?

Gabriel: Ich halte es nicht für einen Zufall, dass nach Torsten Albig in Schleswig-Holstein nun schon der zweite Oberbürgermeister bei einer Landtagswahl Ministerpräsident geworden ist. Die Kommunalpolitik ist einfach die beste Schule der Demokratie. Da muss man bürgernah sein, sonst hat man keinen Erfolg. Deutschland braucht solche Kümmerer-Politiker, die sich für die Lebenswirklichkeit der Menschen interessieren und hier in Berlin lange verlacht wurden. 

 

Da hätten wir jetzt nicht automatisch an Steinbrück gedacht. 

Gabriel: Ich glaube, dass Steinbrück ein Kümmerer ist. Er hat Deutschland durch die letzte große Wirtschaftskrise gesteuert. Er hat sich um die Sparbücher der kleinen Leute gesorgt und zugleich bewiesen, dass er in schwierigen Situationen das Land erfolgreich leiten kann.