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Interview mit Thomas Matussek Interview mit Thomas Matussek: "Die UN ist nur so einflussreich wie ihre Mitglieder es wollen"

Von Steven Geyer 27.09.2015, 12:37

Herr Matussek, mit Blick auf Syrien, ISIS-Terror, Ukraine und Flüchtlinge machen die Vereinten Nationen keine gute Figur. Wieso?

Die Vereinten Nationen sind immer so gut oder schlecht, wie ihre Mitgliedsstaaten bereit sind, sich einzubringen. Zuletzt war das schwieriger, weil ihr zentrales Organ – der Sicherheitsrat – häufig durch Vetos des einen oder anderen Mitglieds blockiert ist. Also werden die Probleme in anderen Gremien besprochen: von der E3+3-Gruppe, die mit Iran verhandelte bis zu G8 oder eben G7. Die haben aber leider einen Nachteil gegenüber den Vereinten Nationen: Ihnen fehlt die Legitimität. Was der Sicherheitsrat entscheidet, ist dagegen bindend für jedes Land der Welt.

Wie lassen sich Effektivität und Legitimität wieder zusammenbringen?

Das bedarf ständiger Anstrengung, vor allem um Reformen. Gerade der Sicherheitsrat bildet nicht mehr die Kräfteverhältnisse auf diesem Planeten ab – weshalb die Vereinten Nationen in entscheidenden Fragen gelähmt sind. Leider läuft die Reform des Sicherheitsrates seit über 25 Jahren ohne große Fortschritte. Aber gerade bei der Friedensschaffung hat sie zuletzt eine Menge erreicht, etwa im Westen Afrikas. Auch bei humanitärer Hilfe sind sie, obwohl sträflich unterfinanziert, effektiv. Prinzipiell stimmt natürlich, dass Legitimität im Völkerrecht dann stärker wird, wenn sie auch durchsetzbar ist.

Thomas Matussek, 68, war Ständiger Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen in New York (2006-2009) sowie langjähriger Botschafter in Indien und Großbritannien. Zuvor leitete der Jurist und Diplomat die Politische Abteilung im Außenministerium und später das Büro des Außenministers Klaus Kinkel. Seit 2013 ist Matussek Geschäftsführer der gemeinnützigen Alfred-Herrhausen-Gesellschaft in Berlin, die die Zivilgesellschaft unterstützt, sich mit neuen Formen des Regierens im 21. Jahrhundert zu beschäftigen. Die Alfred-Herrhausen-Gesellschaft, gegründet 1992 in Trägerschaft der Deutschen Bank, unterstützt die Zivilgesellschaft bei der Beschäftigung mit neuen Formen des Regierens im 21. Jahrhundert. Die Gesellschaft verfügt über ein Netzwerk von Partnerinstitutionen aus der ganzen Welt und organisiert internationale und nationale Konferenzen, Diskussionsrunden und Publikationen.

UNO-Resolutionen zur Friedensschaffung gelingen im Sicherheitsrat nur noch selten. Alles nur wegen des Konflikts mit Russland?

Nein, die Krise begann, als die letzte Bush-Regierung sehr deutlich machte, dass sie von den VN überhaupt nichts hielt und sie verschiedene „Koalitionen der Willigen“ vorzog. Unter Obama wurde es wieder viel besser, weil er sich dem Multilateralismus verschrieben hatte. Natürlich gibt es einen Rückschlag, seit Russland die Krim annektierte und danach Sprachlosigkeit zwischen den großen Mächten einsetzte. Zum Glück gab es beim Verhandeln des Atom-Deals mit Iran wieder Annäherungen – und dieser Tage auch Anzeichen, dass man im Syrien-Konflikt wieder ins Gespräch kommt.

Obama und Putin reden darüber am Rande der Vollversammlung. Ist das wichtiger als die großen Reden vor der Generalversammlung, wie die von Putin an diesem Montag?

Beides kann wichtig sein. Eine Rede vor der Vollversammlung kann vor den Augen der Welt starke Akzente setzen. In Sternstunden können so neue Themen ganz oben auf die Agenda gesetzt werden, wie die Kanzlerin das bei ihrer ersten Rede vor der Generalversammlung tat, als sie die nukleare Gefahr ansprach, die vom Iran ausgeht. Auch nach dem Fall der Mauer stellten Bush senior und Gorbatschow mit Reden vor den Vereinten Nationen wichtige Weichen. Zur akuten Konfliktlösung ist es wohl wichtiger, dass viele kleine, informelle Runden stattfinden.

Welche Annäherungen können Sie in Sachen Syrien sich vorstellen?

Zunächst gibt es für Syrien ja noch nicht einmal eine Kontaktgruppe – also Staaten, miteinander verhandeln. Ich gehe davon aus, dass es viele informelle Gespräche darüber geben wird, wie man ISIS entgegentritt. Zwischen den großen Staaten, aber auch mit einflussreichen Staaten der Region – Türkei, Saudi Arabien, Iran – und mit Mittelmächten wie Deutschland. Heikel ist die Frage, inwieweit man mit Syriens Staatschef Assad kooperiert, dem ja schwere Kriegsverbrechen vorgeworfen werden.

Kann man Assad also doch nicht einbinden?

Doch, es gab in der Vergangenheit ja Ähnliches, etwa in den Gesprächen mit Milosevic und Karadzic. Das ist das Gute an den Vereinten Nationen: Sie schaffen einen Rahmen, in dem man nicht nur mit Freunden redet, sondern mit allen. Wenn man sich nun Russland wieder nähert, wird das auf lange Sicht auch im Ukraine-Konflikt helfen.

Das Interview führte Steven Geyer.