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Interview mit Rechtsprofessor Michael Bothe Interview mit Rechtsprofessor Michael Bothe: «Israel durfte sich wehren»

07.01.2009, 22:01

BERLIN/MZ. - Durfte Israel den Gazastreifen bombardieren und einmarschieren?

Bothe: Grundsätzlich hatte Israel das Recht, sich gegen den Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen zu wehren.

Haben denn die Palästinenser den militärischen Konflikt angefangen?

Bothe: Der Beschuss israelischen Staatsgebiets mit Raketen hat jedenfalls eine neue Phase des Konflikts eingeleitet.

Die Palästinenser verweisen zur Rechtfertigung auf die israelische Abriegelung des Gazastreifens...

Bothe: Diese Abriegelung ist zwar unzulässig. Das allein rechtfertigt aber den Raketenbeschuss nicht als Gegenmaßnahme.

Der Reihe nach: Warum ist die israelische Abriegelung von Gaza rechtswidrig?

Bothe: Weil eine Besatzungsmacht - und als solche sehe ich Israel noch immer an - für das Wohlergehen der Bevölkerung im besetzten Gebiet sorgen muss und diese nicht weitgehend von Lebensmittel- und Energielieferungen sowie Arbeitsmöglichkeiten abschneiden darf.

Israel sah die Blockade als Druckmittel, um den Raketenbeschuss zu stoppen...

Bothe: Es ist nicht zulässig, die Bevölkerung verelenden zu lassen, um Druck auf Politiker auszuüben.

Warum durften sich die Palästinenser dann nicht militärisch gegen die rechtswidrige israelische Blockade wehren?

Bothe: Sieht man den Gazastreifen noch als besetztes Gebiet an, dann mag der militärische Widerstand der Palästinenser nicht rechtswidrig sein. Das ändert aber nichts an dem Recht der Besatzungsmacht, militärische Maßnahmen zu ihrer eigenen Sicherheit zu ergreifen. Israel sieht hingegen die Lage so an wie die zwischen zwei Nachbarstaaten.

Dann ist allerdings ausschlaggebend, dass die Abriegelung von Gaza kein bewaffneter Angriff war, der ein Selbstverteidigungsrecht der Palästinenser auslöst. Hiergegen wäre nur diplomatischer und wirtschaftlicher Druck zulässig gewesen.

Darf Israel nun auch Einrichtungen der Hamas-Regierung angreifen?

Bothe: Nur wenn und soweit diese in die militärische Kommandostruktur von Gaza eingebunden sind. Israel darf nur sogenannte militärische Ziele angreifen. Angriffe auf zivile Objekte sind unzulässig.

Greift Israel tatsächlich nur militärische Ziele an?

Bothe: Israel behauptet das, die palästinensische Seite bestreitet es weitgehend. Jedenfalls ist zwischen verschiedenen angegriffenen Zielen zu unterscheiden. So ist etwa die palästinensische Polizei nur dann ein zulässiges Ziel, wenn sie in militärische Strukturen oder Handlungen eingebunden ist. Die ebenfalls häufig angegriffenen metallverarbeitenden Werkstätten sind nur dann militärische Ziele, wenn sie dem Bombenbau oder ähnlichen Zwecken dienen. Ob die israelische Einstufung jeweils berechtigt war, ist eine Beweisfrage.

Was gilt, wenn bei israelischen Luftschlägen auch Frauen und Kinder getötet werden?

Bothe: Wenn bei einem Angriff, der auf ein ziviles Objekt gerichtet ist, Menschen zu Schaden kommen, dann ist das rechtswidrig, bei entsprechendem Vorsatz sogar ein Kriegsverbrechen. Wenn hingegen ein Angriff wirklich auf ein militärisches Ziel gerichtet ist, dann wird er nicht schon dadurch unzulässig, dass dabei auch Zivilpersonen oder zivile Güter in Mitleidenschaft gezogen werden. Man spricht dann von Kollateral- oder Begleitschäden. Unzulässig ist ein solcher Angriff allerdings dann, wenn der Begleitschaden außer Verhältnis zu dem erwarteten unmittelbaren militärischen Nutzen steht.

Der Hamas wird vorgeworfen, dass sie Waffenlager und Raketenabschussrampen gezielt in Wohngebieten unterhält. Muss Israel dennoch zivile Opfer vermeiden?

Bothe: Ja. Es ist zwar völkerrechtlich unzulässig, wenn Zivilisten von der Hamas als ,lebende Schutzschilde' missbraucht werden, dennoch muss Israel auch dann vermeidbare und unverhältnismäßige Opfer unter Zivilisten vermeiden.