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Interview mit Migrationsrechtler  Interview mit Migrationsrechtler : Wie Integration gelingt und was sich nun ändern muss

28.09.2018, 08:54
Prof. Winfried Kluth
Prof. Winfried Kluth Universität Halle (Saale)

Halle (Saale)/Leipzig - Der Migrationsrechtler Prof. Winfried Kluth von der Universität Halle hat für den Deutschen Juristentag, der in dieser Woche in Leipzig zusammenkommt, ein Gutachten erstellt. Im Vorfeld sprach MZ-Redakteur Christian Schafmeister mit dem langjährigen Richter des Landesverfassungsgerichtes Sachsen-Anhalt über Zuwanderung und Abschiebung, die CSU und die Voraussetzungen für eine gelungene Integration.

Herr Prof. Kluth, für viele Experten ist Deutschland schon seit Jahren ein Einwanderungsland. Warum haben wir dann bis heute kein Einwanderungs-, sondern ein Zuwanderungsgesetz?
Winfried Kluth: Die Botschaft wäre eine ganz andere, da geht es schlicht und einfach um Begrifflichkeiten. Zuwanderung suggeriert, dass es sich um eine zeitlich befristete und zahlenmäßig begrenzte Angelegenheit handelt. Mit Einwanderung verbindet man eine unkontrollierte Öffnung, die viele nicht wollen. In der Sache haben Sie und die Experten Recht. Das ist schon eine Form von Selbstbetrug, eine gestörte Wahrnehmung der Realität. Auch für mich ist Deutschland ganz klar ein Einwanderungsland.

Warum dann aber dieser Eiertanz um Begriffe? Hat Deutschland so schlechte Erfahrungen mit Migration gemacht?
Ganz im Gegenteil. Deutschland hat in der Vergangenheit mehrfach erheblich von Migration profitiert. Das Wirtschaftswunder in der Bundesrepublik hätte es ohne die vielen Vertriebenen aus dem Osten nicht gegeben. Später kamen die Gastarbeiter aus Ländern wie Italien, der Türkei oder Griechenland. Auch sie wurden in der Wirtschaft dringend gebraucht. Doch in beiden Fällen wurden die Menschen nicht mit offenen Armen empfangen. Das ist gerade bei den Vertriebenen bemerkenswert, es waren ja schließlich Deutsche, die kamen. Dennoch stießen auch sie vielerorts zunächst auf viel Ablehnung.

Nach Angela Merkels Satz „Wir schaffen das“ aus dem Jahr 2015 fordern viele Menschen heute eine strikte Begrenzung der Migration. Sie auch?
Ja, denn die Begrenzung der Zuwanderung - der Koalitionsvertrag spricht ja ganz konkret von 200.000 Personen im Jahr - ist schlicht und einfach die entscheidende Voraussetzung dafür, dass Integration gelingt. Die Gesellschaft, die Migranten aufnimmt, braucht für die Aufgabe viel Zeit und Ressourcen, sonst kommt es zu einer Überforderung. Ohne Begrenzung fehlen aber auch den Migranten Anreize, sich zu integrieren und die deutsche Sprache zu lernen. Sie leben dann stattdessen oft in Ballungszentren mit Landsleuten zusammen, es bilden sich Parallelgesellschaften und die Migranten bleiben letztlich in ihrer Entwicklung stehen. Das hilft keinem weiter.

Das klingt so, als ob Sie die Forderung der CSU nach einer klaren Obergrenze teilen.
Nein, die Forderung der CSU teile ich nicht, denn es lässt sich aus dem geltenden Recht, etwa dem Asylrecht, einfach keine konkrete Zahl für eine Obergrenze ableiten. Auch die Grenze der Belastbarkeit ist abstrakt. Natürlich war die Situation 2015 für viele Kommunen schwierig, aber letztlich haben sie die Herausforderung gut gemeistert. Im Übrigen sollten wir uns bei dem Thema auch immer an unsere humanitäre Verpflichtung erinnern, die ein Markenzeichen unserer Verfassung ist.

Die entscheidende Frage, wie Sie Zuwanderung begrenzen wollen, müssen Sie aber trotzdem noch beantworten.
Das geht aus meiner Sicht nur über Verhandlungen mit den Herkunftsstaaten. Dort müssen die Anreize dafür geschaffen werden, dass die Menschen in ihrer Heimat bleiben. Das geht, in dem wir etwa Bildungsangebote dort stärker fördern als bisher und zwar besser durch eigene Projekte wie Schulen und Bildungszentren nach deutschem Muster als durch reine Geldzahlungen. Ich gebe zu, das ist alles mühsam, braucht Zeit, aber es ist möglich und es ist auch der einzige Weg. Zäune helfen jedenfalls nicht weiter. Leider fehlt derzeit der politische Wille zur Solidarität in Europa, aus dem Grund müssen wir selbst aktiv werden und solche neuen Anreize setzen. Und das ist am Ende auch günstiger als hierzulande die Folgen einer gescheiterten Integration zu tragen.

Und was ist aus Ihrer Sicht hierzulande noch zu tun?
Es gibt noch zu viele Barrieren in den Köpfen und Integration wird häufig weiter einseitig nur auf die Migranten bezogen. Selbstverständlich müssen sich die Migranten hierzulande einbringen, kooperieren, Angebote wie Sprachkurse annehmen und unsere Werte akzeptieren. Doch Integration sollte noch stärker als Aufgabe der gesamten Gesellschaft verstanden werden. Nehmen sie ausländische Fachkräfte, die wir dringend brauchen. Denen stellen wir bei der Anerkennung ihrer Abschlüsse jedoch weiter so hohe Hürden auf, dass viele gar nicht erst zu uns kommen.

Ausländische Fachkräfte helfen aber doch nicht nur der Wirtschaft, sondern sind auch ein entscheidender Faktor bei der Integration.
Das liegt auf der Hand. Dort, wo es Kontakt mit Migranten gibt, etwa über Pflegekräfte, gibt es meistens keine Probleme. Aus meiner Sicht spielen aber auch gut funktionierende Verwaltungsstrukturen eine große Rolle. Daher wurden viele Flüchtlinge 2015 in Bayern etwa besser betreut als in Berlin - so paradox das angesichts mancher CSU-Forderung klingen mag.

Dazu gehört auch die wiederholte Forderung nach konsequenterer Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. Wie stehen Sie dazu?.
Das ist mit Blick auf unseren Anspruch, die Migration anhand von Kriterien zu steuern richtig, zugleich aber auch zu einfach gedacht. Die Entscheidung über eine Abschiebung ist noch viel anspruchsvoller als über die Anerkennung eines Asylbewerbers. Bei so einer Entscheidung fließen viel mehr Faktoren ein, vor allem zur Situation im Heimatland. Da haben wir über die Jahrzehnte in Deutschland mit Blick auf die Menschenrechte einen immer höheren Anspruch entwickelt. Und ich warne davor, diese etablierten Standards wie das Folterverbot plötzlich in Frage zu stellen. Das könnte zu einem Dammbruch führen. Richtig ist aber, dass wir im Einzelfall besser auf neue Entwicklungen reagieren müssen. Das macht der Gesetzgeber aber auch. So ist der Hinweis auf eine schlechtere Gesundheitsversorgung im Heimatland kein Hindernis mehr für eine Abschiebung. (mz)