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Interview mit der SPD-Generalsekretärin Interview mit der SPD-Generalsekretärin: Yasmin Fahimi begeistert über deutsche Solidaritätswelle

Von Karl Doemens 10.09.2015, 20:15
Die Generalsekretärin der SPD, Yasmin Fahimi, ist stolz darauf, wie herzlich die Deutschen die Flüchtlinge Willkommen heißen.
Die Generalsekretärin der SPD, Yasmin Fahimi, ist stolz darauf, wie herzlich die Deutschen die Flüchtlinge Willkommen heißen. dpa Lizenz

Berlin - Ihr Vater, ein iranischer Chemiker, starb vor ihrer Geburt. Aufgewachsen ist sie in Hannover. Die Veränderungen der deutschen Gesellschaft durch Flüchtlinge und Migranten verfolgt SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi (47) mit besonderer Aufmerksamkeit.

Frau Fahimi, im Januar  haben Sie in dieser Zeitung von Zuschriften berichtet, die sie aufforderten, in den Iran zu gehen und Burka zu tragen. Nun erleben wir eine große Solidaritätswelle mit den Flüchtlingen aus Syrien. Was denken Sie dabei?

Ich empfinde Begeisterung und Stolz. Begeisterung darüber, dass sich in den vielen Städten solche spontane Hilfsbereitschaft zeigt. Und Stolz, in einem Land zu leben, das in den vergangenen 20 Jahren offensichtlich ganz viel gelernt hat. Flüchtlinge werden nicht mehr in erster Linie als Belastung gesehen, sondern mit offenen Armen empfangen.

Hat sich Deutschland seit den Pegida-Demos plötzlich verändert?

Nein, schon im Winter während des Pegida-Spuks waren die Gegendemonstrationen um ein Vielfaches größer als diese fremdenfeindlichen Märsche. Ich freue mich, dass die schweigende Mehrheit der Deutschen, die für ein weltoffenes und tolerantes Land stehen, dies jetzt offen zeigt durch ihre Hilfsbereitschaft und Mitmenschlichkeit.

Das massive freiwillige Engagement ist neu. Woher kommt das?

Dieses Engagement überwältigt mich, weil es spontan und von der Basis her entstanden ist. Willkommenskultur kann man nicht verordnen. Ich sehe darin einen unglaublich positiven Impuls für Deutschland. Da scheint einer den anderen anzustecken und mitzuziehen.

An den Bahnhöfen scheint teilweise eine Euphorie zu herrschen wie bei der Fußballweltmeisterschaft. Ist das nicht ein bisschen viel des Guten?

Manchmal hatte ich den Eindruck, dass die Flüchtlinge, die aus Ungarn kamen und bei uns mit Applaus begrüßt wurden, darüber selbst ziemlich verblüfft waren. Nach den Jagdszenen in Ungarn wollten die Menschen hier wohl den Flüchtlingen zeigen: Hey, das ist nicht Europa. Europa ist anders.

Wie groß ist die Gefahr, dass die Stimmung in den nächsten Wochen kippt?

Ich glaube nicht, dass die Stimmung bald kippt. Ich habe eher Sorge, dass eine gewisse Ermüdung eintritt. Als Politikerinnen und Politiker müssen wir daher zeigen, dass wir die Flüchtlingsaufnahme bewältigen und gleichzeitig nicht aus den Augen verlieren, dass wir in unserem Land massiv in Infrastruktur investieren, die Kinderbetreuung verbessern und den Arbeitsmarkt weiter auf Vordermann bringen müssen. Für alle!

Das klingt gut. Aber zunächst werden die Bürger doch erleben, dass die Klassen voller werden, die Turnhalle über den Winter gesperrt bleibt und die Sanierung des Schwimmbads verschoben wird.

Natürlich wird es für eine Übergangsphase gewisse Einschränkungen geben, das sollten wir auch klar sagen. Solange wir aber sicherstellen, dass sie nicht zum Dauerzustand werden, sehe ich eine große Bereitschaft im Land, diese Einschränkungen in Kauf zu nehmen.

Das von der großen Koalition beschlossene Maßnahmenpaket stößt bei den Ländern auf viel Kritik. Völlig unzureichend findet auch Ihre Parteifreundin und  NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft die finanzielle Unterstützung des Bundes. 

Im Augenblick erleben wir  doch  eine wahnsinnige Dynamik in der Flüchtlingsfrage. Die Schätzungen überschlagen sich. Allein voriges Wochenende sind 30 000 Menschen in München angekommen, damit hat niemand gerechnet. Deshalb muss es uns beim Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern am 24. September gelingen, eine strukturelle Lösung zu finden. Es bringt wenig, einfach abstrakt Summen in den Raum zu stellen; klüger wäre es, die Kosten pro Flüchtling zu kalkulieren.

Der zweite Teil des Interviews auf der nächsten Seite!

Das hieße aber im Zweifelsfall: mehr Geld vom Bund?

Ich habe es so verstanden, dass die drei Milliarden Euro auf Basis von 800.000 Flüchtlingen berechnet worden sind. Wenn es mehr werden, muss es auch mehr Geld geben. Wir müssen zu einem festen Schlüssel finden, damit die Länder belastbar planen können.

Zu dem Flüchtlings-Paket gehört auch die Ausweisung weiterer sicherer Herkunftsländer auf dem Balkan. Werden Sie dafür eine Mehrheit im Bundesrat bekommen?

Jetzt sind alle Koalitionsparteien gefordert, Überzeugungsarbeit in den Ländern zu leisten, denn Union und SPD allein haben keine Mehrheit im Bundesrat. Wir brauchen in dieser Situation eine ganz große Koalition – und ich wäre froh, wenn sich die Grünen uns in dieser Frage anschließen würden. 

Was halten Sie vom Vorschlag des bayerischen CSU-Finanzministers Markus Söder, das deutsche Asylrecht an EU-Recht anzugleichen und damit unattraktiver zu machen?

Es ist der durchsichtige Versuch, unser Asylrecht zu schleifen. Eine solche Grundgesetzänderung ist mit der SPD nicht zu machen. Die CSU spielt in der Flüchtlingspolitik eine unschöne Rolle. Umso mehr freue ich mich, dass die Menschen in Bayern so viel Mitmenschlichkeit und Wärme gegenüber Flüchtlingen zeigen. Davon könnte sich die bayerische Staatsregierung wahrlich etwas abgucken.

Wenn Sie einen Schritt zurücktreten und sich Deutschland in zehn Jahren vorstellen: Wie wird sich das Land verändert haben?

Ich glaube, das Jahr 2015 könnte eine ähnliche Bedeutung bekommen wie das Wendejahr 1989. Wir verändern uns. Und wir wollen uns zum Guten verändern. Ich hoffe, dass wir in zehn Jahren ein neues Selbstverständnis von Deutsch-Sein etabliert haben, das sich nicht vom Ort der Geburt ableitet, sondern von gemeinsamen Werten wie Solidarität, Rechtsstaatlichkeit und humanistischen Überzeugungen. Die Integration muss dazu der Schlüssel sein.

Wenn es uns gelingt, die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt einzugliedern, wird das eine enorme Bereicherung für unser Land sein. Wer ein solches Schicksal und so viele Gefahren auf sich genommen hat, der legt sich hier nicht auf die faule Haut, der will etwas erreichen im Leben. Diese Energie und diesen Willen müssen wir nutzen - zum Vorteil unserer freien Gesellschaft.

Das Gespräch führte Karl Doemens.

Sollte es gelingen, die Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren, wäre es eine große Bereicherung, so Yasmin Fahimi.
Sollte es gelingen, die Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren, wäre es eine große Bereicherung, so Yasmin Fahimi.
dpa Lizenz