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Interview mit Christian Hirte Interview mit Christian Hirte: Das hat der neue Ostbeauftragte mit Osdeutschland vor

07.05.2018, 17:45
Christian Hirte (CDU), der neue Ostbeauftragte der Bundesregierung und neuer Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium.
Christian Hirte (CDU), der neue Ostbeauftragte der Bundesregierung und neuer Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Silvio Kison

Halle (Saale) - Bleibt Ostdeutschland ewig das wirtschaftliche Sorgenkind der Bundesrepublik? Christian Hirte (CDU), der neue Ostbeauftragte der Bundesregierung, rät zu mehr Selbstbewusstsein. Mit ihm sprachen MZ-Redakteur Hartmut Augustin, Kai Gauselmann und Jan Schumann.

Herr Hirte, zu DDR-Zeiten lebten Ihre Großeltern in Thüringen auf einem Bauernhof 50 Meter von der innerdeutschen Grenze entfernt. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Ausblick?
Christian Hirte: Das war für mich das Ende der Welt. Und ich habe mir nicht vorstellen können, dass sich das einmal ändert. Aber mir war natürlich klar, dass es hinter diesem Grenzzaun irgendwie weitergeht. Die Geschwister meines Großvaters lebten in Nachbardörfern auf der anderen Seite.

Was haben Sie damals sehen können, wenn Sie Richtung Grenze schauten?
Es gab damals ja zwei Zäune. Der Bauernhof war vor dem 500-Meterzaun, also schon im 5-km-Sperrgebiet. Man sah auch den zweiten Zaun mit den Schneisen, die freigeschlagen waren. Da wuchs nichts mehr. Ich sah Hubschrauber vom Bundesgrenzschutz – damals dachte ich, das wären russische oder DDR-Maschinen.

Was haben Sie sich damals vorgestellt, was hinter der Grenze liegt? Ein Wunderland?
Ich hatte eine gewisse Vorstellung, wie es im Westen ist. Meine Großeltern hörten westdeutsches Radio, schauten überwiegend Westfernsehen. Und mein Großvater besuchte regelmäßig seine Geschwister. Er brachte natürlich auch immer Sachen mit. Ich wusste schon, dass der Lebensstandard hinterm Zaun deutlich besser war. Aber meine Mutter sagte auch, die haben am Ende die gleichen Probleme wie wir.

Wo liegen für Sie heute die Unterschiede zwischen Ost und West?
Vor allem in der unterschiedlichen Struktur der alten und neuen Bundesländer. Wir sind deutlich kleinteiliger, sowohl in den städtischen und örtlichen Strukturen als auch in der Wirtschaft. Das prägt die Unterschiede langfristig. Wir haben einen großen Aufholprozess hinter uns gebracht, relativ erfolgreich. Aber was wir eben nicht haben, sind diese großen internationalen Konzerne mit Konzern-Forschungseinrichtungen und mit spitzenbezahlten Leuten. Bei Bosch oder Daimler bekommt nicht nur ein leitender Angestellter, sondern auch ein normaler Facharbeiter am Jahresende einen Bonus von ein paar tausend Euro. So was gibt's bei uns zu selten. Die Großkonzerne heben natürlich das Gesamtniveau im Westen. Da hinken wir im Vergleich hinterher. Ein Zahlenvergleich: Das Durchschnittsgehalt im Osten liegt bei 82% des West-Durchschnitts. Vergleicht man nur Führungskräfte untereinander, liegt der Osten nur bei 76%. Anders ausgedrückt: Bei Menschen mit ganz normalen Berufen und Qualifikationen liegen wir näher zusammen, als wir manchmal tun.

Ihre Beschreibung klingt etwas aussichtslos. So als ob der wirtschaftliche Rückstand des Ostens nicht zu beheben ist.
Ich bin nicht resignativ, ganz im Gegenteil. Ich finde, dass wir unsere Stärken mit realistischem Blick erkennen müssen. Nur so können wir sicherstellen, dass wir besser werden. Wir werden keine Daimler-Zentrale in Halle bekommen, das wäre völlig unrealistisch. Aber wir müssen unsere Strukturen nutzen, die kleinen Pflänzchen pflegen. Da sind wir besser aufgestellt als die alten Bundesländer, wir haben mehr Unternehmen pro 100.000 Einwohner. Insbesondere den Klein- und Mittelständlern können wir im Wirtschaftsministerium helfen - mit Innovationsförderung, mit Forschungsförderung, bei der Internationalisierung. Im Mittelstand gibt es bei uns Erfolgsgeschichten. Da können wir das Niveau der westdeutschen Länder erreichen.

Heißt das also: Bayern können wir abhaken, aber Ostfriesland können wir vielleicht einholen?
Nein, das heißt nur, dass der Osten anders ist als die Metropolregionen des Westens. Ich finde etwa, dass wir eine echte Chance haben, mit Regionen wie Franken gleichzuziehen. Ich glaube auch, dass die Region Halle wirtschaftlich deutlich erfolgreicher werden kann als der Bayerische Wald. Bayern ist eben auch nicht gleich Bayern. Wir können es schaffen, im Mittelstand Westniveau zu erreichen. Zumal es viele Punkte gibt, die für uns sprechen. Sie können in Halle mit einem halb so hohen Einkommen wie in München ein Haus erwerben. Sie haben hier eine ordentliche Kinderbetreuung. Das ist etwa in Karlsruhe ganz anders.

Diese Argumente gibt es ja seit Jahren. Dennoch geht der Zug noch in die andere Richtung. Sachsen-Anhalt verliert jedes Jahr Einwohner.
Jein. Es zeichnet sich eine Trendumkehr ab, in manchen Regionen haben wir sie schon. Viele kommen auch zurück, auch aufgrund der teils besseren Lebensqualität. Auch Sachsen-Anhalt wird die Trendumkehr erleben. In Thüringen – wir haben über den Bauernhof in der Grenzregion gesprochen – haben wir mittlerweile viele Einpendler aus dem Westen. Im Landkreis Sonneberg, an der Thüringisch-Bayerischen Grenze, gibt es mehr Ein- als Auspendler.

In Städten wie Halle gibt es Zuzug, aber das Gegenteil ist der Fall auf dem Land. Beispiel Mansfeld-Südharz, dort gibt es keine Start-Ups. Ist Ihre Strategien also eine Stärkung der Zentren? Drei Viertel der Sachsen-Anhalter wohnen auf dem Land.
Solche Start-Ups müssen ja nicht zwingend Hightech-Unternehmen sein, die auf Biotechnologie, Pharma oder Chemie setzen. Es gibt viele kleine reguläre Unternehmen, die in ihrem Segment weiter Innovationspotenzial haben - mit Sicherheit auch im Mansfelder Land.

Das heißt also: Sie wollen das Pflänzchen gießen, aber nicht den Samen legen?
Man muss realistisch sein. Wir werden keinen Gründer aus Berlin und München ins Mansfelder Land bekommen. Deswegen müssen wir mit einheimischen Akteuren arbeiten. Zudem setzt die Bundesregierung ja auch eine Kommission ein, um den ländlichen Raum in ganz Deutschland zu stärken. Aber man darf keine falschen Hoffnungen wecken. Wir werden im Mansfelder Land nicht die Hightech-Metropole der Bundesrepublik entwickeln. Im übrigen waren manche ländliche Regionen – egal ob Ost oder West – auch früher nie der Innovationstreiber. Das muss ja auch nicht sein, wir sollten nicht so tun, als gäbe es Zukunft nur dort, wo der größte technische Fortschritt ist.

Haben Sie nicht Angst, dass solche Regionen einfach abgehängt werden?
Ich glaube, die Mehrheit der Bürger in solch strukturschwachen Gegenden hat nicht die Sorge, dass die aktuelle Situation so schlecht ist, dass man dort nicht leben könnte, sondern vielmehr, dass es künftig schlechter werden könnte. Wenn man sie befragt, sagen die meisten: Mir geht es gut und mit meinem Umfeld bin ich zufrieden. Die Befürchtung ist eher, dass sich der Staat und das öffentliche Gemeinwesen noch weiter zurückziehen. Da muss man klare Signale setzen, um den Leuten in ihren Heimatregionen in realistischen Rahmen eine Zukunft zu bieten.

In Sachsen-Anhalt liegt die AfD bei 24 Prozent, in Sachsen könnte Sie sogar die Landtagswahl gewinnen. Zehrt die AfD vom Gefühl, vergessen zu sein?
Ich denke schon, dass das zusammen gehört. Da war die Flüchtlingsproblematik in den vergangenen Jahren nur die Spitze des Eisbergs. Deswegen ist es wichtig, dass Ostdeutschland künftig mit einem neuen Selbstbewusstsein auftritt. Ich habe den Eindruck, dass diese Selbstwahrnehmung und -positionierung auch eine Generationenfrage ist. Gerade in Sachsen ist der vergleichsweise junge Ministerpräsident Michael Kretschmer dafür der richtige Mann. Auch im Bundestag muss der Osten mit breiteren Schultern auftreten, da bin ich mir im Übrigen mit den Ministerpräsidenten einig. Ostdeutschland hat ja auch mehr Abgeordnete als Bayern oder Nordrhein-Westfalen.

Wenn das die Reaktion ist: Hatte der Aufstieg der AfD also heilsame Kräfte?
Ich weiß nicht, ob ich es so nennen würde. Denn wie sich die AfD inhaltlich und im Ton präsentiert, ist jenseits von Gut und Böse. Zu beobachten ist aber, dass die AfD in vielen Fällen die Rolle der Linkspartei als Haupt-Protestpartei eingenommen hat.

Was ist also Ihre Agenda, um den Osten voranzubringen?
Die neuen Länder müssen an ihrem Image und Selbstbewusstsein arbeiten. Hier ist bei weitem nicht alles schlecht, man muss nur aus dem Fenster schauen. Bayern geht mit einem ganz anderen Selbstbewusstsein voran. Das wünsche ich mir auch für die Ostländer. Zum anderen müssen wir mehr wirtschaftliche Instrumente nutzen: Es wird mehr finanzielle Hilfen für kleine und mittelständische Unternehmen geben, dafür werden wir etwas tun.

Was können Sie konkret auf den Weg bringen?
Leipzig bekommt jetzt eine neue Bundesbehörde, wir reden da über mehr als 1.000 Arbeitsplätze. Das ist ein großer Erfolg, an dem viele mitgearbeitet haben.

Sie haben das eingetütet?
Nicht allein, ich habe aber Gespräche, u.a. mit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, geführt. Die neuen Behörden sind ein Weg, den Osten zu stärken. Ich habe bereits alle Bundesministerien mit genau diesem Gedanken angeschrieben.

Aber ist das nicht der falsche Weg? Beispiel Leipzig, die Stadt boomt bereits.
Auch die Außenstellen, wie Halle, werden profitieren. Vor allem ist das aber ein klares Signal der Bundesregierung: Wir unterstützen den Osten.

Es wird also weitere Bundesbehörden in den neuen Ländern geben?
Ein neues Waldkompetenzzentrum ist geplant. Das wird nicht in Halle oder Magdeburg landen – wir werden sehen, dass es in eine ländliche Region kommt. (mz)