Interview mit Bahnvorstand Ronald Pofalla Interview mit Bahnvorstand Ronald Pofalla: "Die Zufriedenheit ist gestiegen"

Herr Pofalla, Sie sind selbst viel mit dem Zug unterwegs. Wann sind Sie zum letzten Mal so richtig verzweifelt?
Ronald Pofalla: Das kommt immer mal wieder vor, ich reise ja sehr viel mit der Bahn.
Ein Beispiel bitte?
In einem Fall gab es Probleme auf der Strecke. Die Folgen waren Verspätungen. Ich habe mich darüber geärgert, dass die notwendigen Angaben zu spät für unsere Kunden in unsere Informationssysteme eingestellt waren. Aus solchen Fehlern müssen wir lernen.
Und dafür sorgen Sie dann persönlich?
Ja, natürlich. Ich gehe dem, was mir an Beschwerden zu Ohren kommt oder was ich miterlebe, wenn ich unterwegs bin, so oft wie möglich selbst nach.
Mit Erfolg?
Es hilft, den Problemen auf den Grund zu gehen. Vor kurzem hatten wir zwei ausgefallene Scheibenwischer an einem ICE. In solchen Fällen muss der Zug gedreht werden, eine so genannte Drehfahrt. Mir hat nicht eingeleuchtet, warum der Zug dadurch 59 Minuten Verspätung bekam.
Der Grund war, dass die für das Drehen rechtlich notwendige Anweisung der Betriebszentrale an den Fahrdienstleiter in Schriftform verfasst worden ist und dann auf Papier umständlich dem Lokführer übergeben werden musste. Zeitfresser wie diese wollen wir mit der Digitalisierung besser in den Griff kriegen.
Mal mangelt es an der Kommunikation, mal am Material: Der Bahn eilt bei vielen der Ruf voraus, dass immer irgendetwas schief läuft…
So pauschal stimmt das nicht. Mit uns reisen jeden Tag über sieben Millionen Kunden, und wir eilen von einem Passagierrekord zum nächsten. Und nicht zu vergessen: Unser Fernverkehr fährt zu 100 Prozent mit Ökostrom. Ich bin aber für jede berechtigte Kritik dankbar. Es ist bei uns vielleicht ein bisschen so wie bei der Nationalmannschaft. Da gibt es 80 Millionen Bundestrainer, die wissen, wie es laufen muss. Und ähnlich ist es auch mit der Bahn.
Wenn mal was nicht läuft, entsteht Reibung. Und aus Reibung kann sich positive Veränderung ergeben. Wir hatten in den vergangenen Jahren Qualitätsprobleme, die nicht akzeptabel waren. Deshalb haben wir ja die „Agenda für eine bessere Bahn“ aufgelegt – und ein ganzes Bündel von Maßnahmen auf den Weg gebracht.
Und, sehen Sie inzwischen eine Trendwende zum Besseren?
Ich sehe eine echte Trendwende. Wir haben in diesem Jahr bis zum heutigen Tag im Fernverkehr Pünktlichkeitswerte von 78,6 Prozent. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, wären wir bei der Pünktlichkeit auf das Jahr gerechnet so gut wie seit 2013 nicht mehr. Unsere Kundenbefragungen bestätigen die Erfolge inzwischen deutlich. Die Zufriedenheit ist gestiegen. Darüber freuen wir uns.
Ronald Pofalla (59) ist seit 2015 Vorstandsmitglied bei der Deutschen Bahn und zuständig für den Bereich Infrastruktur. Zuvor war er Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sowie Generalsekretär der CDU. Von 2009 bis 2013 amtierte er als Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes.
Wenn es Verbesserungen bei der Qualität gegeben hat – worauf führen Sie die zurück?
Unsere Maßnahmen greifen. Das gilt im Netz insbesondere für das Baumanagement und die Plankorridore…
Das müssen Sie erklären!
An unseren größten Engpassstellen in Deutschland haben wir Plankorridore eingerichtet. Das größte Nadelöhr bei uns ist die Strecke zwischen Köln und Dortmund. Dort haben wir eine Auslastung von mehr als 140 Prozent. Jede kleinste Störung dort wirkt sich jedoch auf das Gesamtnetz aus. Darauf reagieren wir jetzt mit einer intelligenten Steuerung der Züge auf den Trassen.
Zweiter Punkt: Bei Störungen infolge unseres umfangreichen Baugeschehens haben wir besonders große Erfolge erreicht. Trotz Zunahme des Bauvolumens um 23 Prozent gibt es 33 Prozent weniger Behinderungen im Vergleich zu der Zeit vor Einrichtung unseres „Lagezentrums Bau“. Auch bei der Bereitstellung der Fernzüge sind wir deutlich besser geworden.
Top-Thema ist im Augenblick der Klimaschutz – und damit die Frage, wie mehr Menschen dazu gebracht werden können, das Auto stehen zu lassen oder auf einen Inlandsflug zu verzichten. Was würde in diesem Zusammenhang ein Mehrwertsteuer-Rabatt auf Bahn-Tickets bringen?
Wir freuen uns sehr über den Vorschlag von Verkehrsminister Scheuer. Das könnte nach unseren Berechnungen pro Jahr bis zu fünf Millionen zusätzliche Fahrgäste bringen, die sich unter Preisgesichtspunkten für die Bahn entscheiden.
Ist eigentlich klar, dass die Senkung der Mehrwertsteuer voll an die Kunden weitergeben würde?
Ja, natürlich. Eine Mehrwertsteuersenkung würde voll an Bahnreisende weitergegeben. Fünf Millionen Kunden zusätzlich – das würde natürlich auch zusätzliche Mehrwertsteuereinnahmen, dann zum ermäßigten Satz, bringen. Das heißt: Ein Teil der Absenkung finanziert sich von selbst.
Wäre das Geld, das die Mehrwertsteuersenkung kostet, nicht besser investiert in die Infrastruktur?
Das sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Natürlich werde ich nie gegen mehr Mittel für die Infrastruktur argumentieren. Aber es muss auch Rahmenbedingungen geben, die die Schiene privilegieren. Dazu gehört die Mehrwertsteuersenkung.
Bis 2030 sollen die Zahl der Reisenden im Fernverkehr auf rund 300 Millionen verdoppelt werden. Ein realistisches Ziel, wenn man die vorhandenen Kapazitäten anschaut?
Die Verdopplung bekommen wir nur mit dem „Deutschland-Takt“ hin, den wir in den kommenden Jahren Stück für Stück umsetzen wollen. Dafür muss aber das Schienennetz digitalisiert und ausgebaut werden, was Zeit braucht und nicht zum Nulltarif geht, sondern mit Milliarden-Investitionen des Staates verbunden sein wird. Wir sind gerade mit der Bundesregierung im Gespräch darüber, welche zusätzlichen Mittel dafür eingesetzt werden können – für die Instandhaltung und den Ausbau.
Können Sie konkreter werden?
Bisher ist klar, dass die Mittel des Staates für die Instandhaltung des Netzes im Vergleich zum Zeitraum 2015 bis Ende 2019 in den Jahren zwischen 2020 und 2024 deutlich steigen werden. Das halte ich für ein gutes Zwischenergebnis. Aber wir verhandeln weiter.
Was genau wird mit dem „Deutschland-Takt“ eigentlich besser?
Wir werden alle Verbindungen so ausgestalten, dass Umstiege in andere Züge innerhalb von bis zu 15 Minuten möglich werden. Wir wollen auch einen verstärkten Takt zwischen den Städten fahren. Bahnfahren wird also noch attraktiver, jenseits von den großen Anstrengungen, die wir unternehmen, um den Service in unseren Zügen besser zu machen.
Die Schnellstrecke Berlin-München gilt als Erfolg, zurzeit wird eine 4-Stunden-Verbindung von Berlin nach Köln geplant. Sind weitere Großprojekte dieser Art geplant?
Wir erhöhen zum Beispiel das Angebot auf der Strecke Hamburg-Berlin ab dem Fahrplanwechsel Ende 2021 und fahren jede halbe Stunde einen Zug. Großes Potenzial hat auch unser Projekt „Digitale Schiene Deutschland“. Digitale Technik ermöglicht engere Zugfolgen. Damit können wir es schaffen, die Kapazität des Netzes um bis zu 35 Prozent zu erhöhen, ohne einen einzigen Kilometer neues Gleis zu bauen. Das ist für mich das Zukunftsprogramm im Bahnsektor.
Die Eisenbahner-Gewerkschaft beziffert den Investitionsstau bei der bestehenden Bahn-Infrastruktur auf 57 Milliarden Euro. Eine realistische Schätzung?
Es ist immer die Frage, auf Basis welcher Preise man rechnet und ab welchem Jahr. Angesichts von 33.000 Kilometern Schienennetz halte ich die Zahl aber für durchaus plausibel. 16.000 Kilometer Gleise haben wir in den letzten zehn Jahren erneuert. Wir sind also mit ganzer Kraft dabei.
Das Problem ist, dass man über Jahre hinweg auf Verschleiß gefahren ist, oder?
Seit 2009 haben wir Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen mit dem Bund. In den Jahren davor war es so, dass keine Bundesregierung die Sanierung der Schienen-Infrastruktur mit einer angemessenen Finanzierung unterlegt hat.
Und das Verkehrsvolumen ist weiter gestiegen?
Pofalla: Vor zehn Jahren waren rund 350 Eisenbahnunternehmen auf unserem Netz unterwegs. Die Bahnen boomen. Heute ist es ein Rekordwert von 430 Eisenbahnen. Die klimafreundliche Schiene ist ein Markt der Zukunft. 140 Fahrplaner arbeiten derzeit an der Quadratur des Kreises und versuchen die vielen Trassenwünsche unter einen Hut zu bekommen. Das ist eine nicht ganz einfache Aufgabe.
DB Cargo schwächelt im Augenblick. Welche Ziele setzt sich die Bahn, gerade mit Blick auf die Verlagerung von Gütern auf die Schiene?
Bei DB Cargo arbeiten wir daran, dass die Lage besser wird. Oft wird vergessen: Der Güterverkehr auf der Schiene hat in den zurückliegenden 25 Jahren um 80 Prozent zugenommen. Mit der jetzt erfolgten Halbierung der Trassenpreise ist der Anreiz zur Verlagerung von Güterverkehr auf die Bahn noch einmal erhöht worden. Bis 2025 soll der Anteil der Schiene am gesamten Gütertransport laut Nationaler Plattform der Mobilität von circa 18 auf 25 Prozent gesteigert werden. Das ist ein sehr ambitioniertes Ziel und sorgt hoffentlich für deutlich weniger Lkw auf unseren Straßen.
Was halten Sie von der laufenden Debatte über eine CO2-Besteuerung?
Ich bin für eine europäische Lösung, nicht für einen nationalen Alleingang. Wenn man eine marktwirtschaftliche Lösung ohne weitere viele regulatorische Eingriffe will, ist die CO2-Bepreisung aus meiner Sicht der einzige Weg, um die Klimaziele zu erreichen. Das geht allerdings nicht ohne eine soziale Komponente. Es kann nicht sein, dass Geringverdiener stärker belastet werden als Einkommensstarke.
Was würde eine CO2-Bepreisung für die Bahn bedeuten?
Das hängt sehr vom Modell ab, aber eines lässt sich schon sagen: Die Bahn würde von einer Bepreisung weniger betroffen. Fast 90 Prozent unserer Verkehre werden elektrisch gefahren. Und nicht zu vergessen: Aktuell kommen 57 Prozent unseres Strommixes für die Schiene aus erneuerbaren Energien, bis 2030 wollen wir bei 80 Prozent liegen.