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Interview Interview: Küng fordert nach Türkeireise Konsequenzen des Papstes

Von Matthias Hoenig 07.12.2006, 12:05
Die Schweizer Außenmininisterin Micheline Calmy-Rey (v.l.), der Theologe Hans Küng und WDR-Intendant Fritz Pleitgen stehen bei der Verleihung des Lew-Kopelew-Preises 2006 am Sonntag (03.12.2006) in Köln nebeneinander. (Foto: dpa)
Die Schweizer Außenmininisterin Micheline Calmy-Rey (v.l.), der Theologe Hans Küng und WDR-Intendant Fritz Pleitgen stehen bei der Verleihung des Lew-Kopelew-Preises 2006 am Sonntag (03.12.2006) in Köln nebeneinander. (Foto: dpa) dpa

Tübingen/dpa. - So seien Fortschritte «natürlich auch für diechristlichen Minderheiten in der Türkei» notwendig, sagte Küng ineinem dpa-Interview. Der Vatikan müsse seine Haltung zu anderenKirchen und Religionen revidieren. Im Verhältnis zur orthodoxenKirche empfiehlt Küng Benedikt XVI., den Machtanspruch des Papstes über die Ostkirchen aufzugeben, wie er dies schon als Theologevorgedacht habe: «Mein Rat an Papst Benedikt XVI.: Besinnen Sie sichdoch bitte auf die Aussage des Tübinger Professors Joseph Ratzinger!»

Frage: Papst Benedikt XVI. erhofft sich nach der Türkei-Reise einen«Gewinn bringenden Dialog mit den muslimischen Gläubigen». Ist diesaus Ihrer Sicht nur freundliche Rhetorik, oder gibt es tatsächlichAnsätze hierfür?

Küng: «Die gibt es. Wichtiger als alle freundliche Rhetorik ist:Papst Benedikt hat gelernt! Seine falschen Regensburger Aussagen überden Islam hat er nicht wiederholt. Vielmehr hat er sich vomPräsidenten der staatlichen Religionsbehörde Ali Bardakoglu in allerÖffentlichkeit über den Islam belehren lassen. Der vom Papstgeforderte ehrliche Dialog setzt in der Tat seriöse Informationvoraus. Darüber hinaus hat der Papst positive Zeichen gesetzt, die ersich in Regensburg wohl selbst nicht hätte träumen lassen: vornehmeZurückhaltung in der früher christlichen Hagia Sophia; Beten mit demGroßmufti in der Blauen Moschee, muslimisches Gegenstück zur HagiaSophia; Schwenken einer türkischen Fahne... Bilder und Gesten sindoft wirkkräftiger als Worte. Doch sie rufen nach Konsequenzen: Esbraucht jetzt einen andauernden Dialog auf allen Ebenen. Und konkreteFortschritte, natürlich auch für die christlichen Minderheiten in derTürkei.»

Frage: Was kann, was sollte ein christlich-islamischer Dialogerreichen?

Küng: «Die dringend notwendige Basis schaffen für ein friedlichesZusammenleben vor Ort, in unseren Städten, Ländern, weltweit. Einsolcher Dialog erfordert neben aller gegenseitigen Information auchSelbstbesinnung und Selbstkritik von beiden Partnern. So bedarf zumBeispiel das Dokument "Dominus Jesus" von Kardinal Ratzinger aus demJahr 2000 dringend der Revision; es geht faktisch hinter das ZweiteVatikanische Konzil (1962-1965) zurück, sowohl gegenüber den anderenchristlichen Kirchen als auch den anderen Religionen.

Und was die Türkei betrifft: Sie macht unter der Regierung Erdogandas epochale Experiment durch, wieweit sich säkularer Staat und Islamverbinden lassen. Wenn die katholische Kirche Jahrhunderte brauchte,um endlich im Vatikanum II Menschenrechte und insbesondereReligionsfreiheit zu akzeptieren, so sollte das auch im Islam möglichsein. Die Entwicklung in der Türkei wird in der ganzen islamischenWelt aufmerksam beobachtet: ob es gelingt, einen Weg zu gehenzwischen antireligiösem Säkularismus und religiösem Fundamentalismus.Der 11. September und die terroristischen Anschläge haben jedenfallsdazu geführt, dass in vielen muslimischen Ländern eine Diskussionüber Gewalt und Terrorismus in Gang gekommen ist. Auch dies istwichtig für einen aufrichtigen Dialog.»

Frage: Der Papst hat in der Türkei die Notwendigkeit benannt, dassdie Religionen im Kampf gegen Säkularisierung, Relativismus undNihilismus zusammenrücken. Wäre dies ein zukunftsweisenderAnsatzpunkt?

Küng: «Ich sehe die Funktion von Religion nicht in erster Linie alsAnti, sondern als Pro! Gewiss, die unumgängliche Säkularisierung derModerne hat teilweise zu einem Relativismus und Nihilismus mit in derTat inhumanen Konsequenzen geführt; diesbezüglich ist die Kritik vonIslam und Christentum berechtigt. Aber Christentum wie Islam warenoft genug auch selber Quelle von Unmenschlichkeit. Sie sollten sichheute beide als Anwälte der Humanität erweisen, und erfreulicherweisetun sie dies auch vielfach. Ein solcher Einsatz für Menschlichkeitsollte unbedingt gemeinsam mit säkular denkenden Menschen geschehen,und dies auf der Basis gemeinsamer elementarer ethischer Standards,die wir als Weltethos bezeichnen. Erfreulicherweise arbeiten schonjetzt ungezählte Menschen aus verschiedenen Religionen undWeltanschauungen auf vielen Ebenen und in unterschiedlichen Kontextenharmonisch und erfolgreich zusammen.»

Frage: Mehrfach wurde die Wiederherstellung der «vollen Einheit»zwischen katholischer und orthodoxer Kirche als Ziel beschworen, undder Papst lud - ähnlich wie seine Vorgänger Paul VI. und JohannesPaul II. - zu einem «brüderlichen Dialog» ein, «um die Art und Weisezu bestimmen, wie das Petrusamt ausgeübt werden könnte und dabeigleich dessen Natur und Wesen respektiert wird». Tatsächlich ist diegeforderte Jurisdiktionsgewalt, also letztlich über alle Teile derKirche zu bestimmen, ein völlig ungelöstes Problem. Welchen Rathätten Sie an den Papst und die orthodoxen Kirchen, um diesengordischen Knoten zu durchschlagen?

Küng: «Ich rate sicher nicht zu weiteren Jahren Kommissionsarbeit inSachen Papstamt. Lösungsvorschläge liegen seit Jahrzehnten auf demTisch, werden aber von Rom ignoriert. Es fehlt nicht an theologischerErkenntnis, sondern an der römischen Bereitschaft zum Verzicht aufMachtansprüche. Was würden unsere Kirchenoberhäupter zu Christensagen, die sich versöhnen wollen, aber immer nur "neue Gespräche","kleine Schritte", "mehr Gebet" und "Hoffnung auf den Heiligen Geist"ankündigen?»

Frage: ...worauf kommt es an?

Küng: «...es kommt doch in erster Linie auf den Papst an. Aberseine Begegnung mit dem ökumenisch aufgeschlossenen PatriarchenBartholomaios I. war enttäuschend. Sie ging kaum über den Bruderkusshinaus, den schon Paul VI. 1964 mit Patriarch Athenagoras inJerusalem ausgetauscht hatte. Damals wurde die gegenseitige "Ex-Kommunikation" des Jahres 1054 aufgehoben. Warum also nicht 40 Jahrenach der Jerusalemer Begegnung endlich die frühere "Communio" wiederherstellen durch eine gemeinsame Eucharistiefeier? Stattdessen wohntder Bischof von Alt-Rom einer Eucharistiefeier des Bischofs von Neu-Rom nur passiv bei.»

Frage: Was sollte Rom machen?

Küng: «Haupthindernis für die Wiederherstellung der altenKircheneinheit ist in der Tat der seit dem 11. Jahrhundert erhobeneMachtanspruch des Papstes über die Ostkirchen. Joseph Ratzinger hatteals mein Kollege in Tübingen noch vertreten: "Rom muss vom Ostennicht mehr an Primatslehre fordern, als auch im ersten Jahrtausendformuliert und gelebt wurde." Das würde bedeuten: Statt einesunbiblischen und erst seit dem 11. Jahrhundert von Rom beanspruchtenJurisdiktionsprimats über die östlichen Kirchen, aber auch statteines belanglosen Ehrenprimats, wäre die Lösung - in der gemeinsamenTradition des ersten Jahrtausends - ein ökumenischer Pastoralprimatdes Bischofs von Rom. Als Vorbild könnte Johannes XXIII. gelten, dersich weitgehend auf geistliche Führung, Inspiration, Mediation undKoordination beschränkte. Mein Rat an Papst Benedikt XVI.: BesinnenSie sich doch bitte auf die Aussage des Tübinger Professors JosephRatzinger!»