Internet Internet: Millionen Bilder missbrauchter Kinder im Netz
Münster/Köln/dpa. - Anfangs geht es um Hobbys und Interessen, dann um ihrAussehen. Schließlich fragt er sie, ob sie sich vor einer Webkameraausziehen oder sich mit ihm treffen möchte. So oder ähnlich beginnenviele Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen.Meistens dienen Internet oder Handy als Kommunikationskanal.
Das Bundeskriminalamt verzeichnete 2005 knapp 14 000 Fälle vonsexuellem Missbrauch von Kindern. 3788 Mal wurde pornografischesMaterial mit Kindern verbreitet, 2002 lag die Zahl noch bei 1778.«Die neuen Techniken machen es Tätern viel einfacher», sagt diePsychologin Julia von Weiler. Sie ist Geschäftsführerin der DeutschenSektion des internationalen Netzwerks «Innocence in Danger» mit Sitzin Köln. Nirgendwo sei es leichter, pornografische Fotos und Videoszu verbreiten oder über Sex zu sprechen.
Früher war es aufwendig, Bilder zu entwickeln, heute genügenwenige Mausklicks. Web- und Handykameras haben zu einer Bilderflutgeführt. Nach Schätzungen kursieren an die sieben Millionen Bildermissbrauchter Kinder im Internet. In Chats können Kontakte anonym undschnell geknüpft werden, die Hemmschwelle ist niedrig. 90 Prozent der12- bis 19-Jährigen nutzen laut der Studie «Jugend, Information,(Multi-)Media» von 2006 das Internet, ein Handy besitzen nahezu alle.Sieben Prozent von ihnen wurden bereits per Mobiltelefon Pornovideoszugeschickt.
Bilder und Videos, die im Umlauf sind, lassen sich kaum mehrbeseitigen. «Jeder Computer der Welt müsste kontrolliert werden»,sagt von Weiler. Die Bilder blieben ewig im Gedächtnis der Kinder,sagt Sharon W. Cooper, Kinderärztin und Dozentin der Universität vonNorth Carlina (USA). Ihrer Meinung nach hat sich ein weltweitesNetzwerk zum Austausch von pornografischem Material gebildet. «Täterfühlen sich nicht mehr allein», sagt sie.
Nicht nur Erwachsene werden zu Tätern, auch Jugendliche vergehensich an Kindern. Sie tauschen Nacktaufnahmen auf ihren Handys aus,filmen Gleichaltrige und setzen sie damit unter Druck. Für dieKinderärztin Cooper hat unter anderem die Allgegenwärtigkeit von Sexin der Werbung und in den Medien Schuld daran. «Sex wirdnormalisiert, es ist eine neue Form des Exhibitionismus», kritisiertsie.
Begriffe aus dem Rotlichtmilieu werden in die Alltagsspracheeingebaut, zum Beispiel das englische Wort «pimp» für Zuhälter. Esschmückt Titel von Fernsehsendungen, in Kanada werden «pimp tones»als Klingeltöne für das Handy angeboten. «Kinder wenden sich früherdem Thema Sex zu», erklärt Cooper. Ihre körperliche Entwicklung passtnicht mehr zu ihren gesellschaftlichen Erfahrungen. Für manche stelledie Sexualität inzwischen einen größeren Wert dar als intellektuelleStärke.
Nur wenige sprechen über ihre Erlebnisse, weil sie sich schämen,sagt Cooper. Typische Folgen seien Essstörungen und Angstzustände.Wenn Kinder Hilfe suchen, meiden sie oft das Gespräch mit den Elternund gehen ins Internet. Deswegen müssen Online-Beratungen ausgebautwerden, fordert von Weiler. Eine bundesweite Telefonberatung namensN.I.N.A. (Nationale Infoline, Netzwerk und Anlaufstelle zu sexuellerGewalt an Mädchen und Jungen) gibt es seit 2005. Betrieben wird sievom Bundesverein zur Prävention von sexuellem Missbrauch an Mädchenund Jungen. 100 Anrufe gehen dort im Schnitt pro Monat ein.