Integrationsgipfel Integrationsgipfel: Multikulti im Kanzleramt

Berlin/dpa. - Es sei ein großer Schritt gewesen, miteinander und nicht übereinander zu sprechen. In sechs Arbeitsgruppen soll bis Mitte 2007 ein nationaler Integrationsplan erarbeitet werden, um Defizite bei Sprache und Bildung abzubauen.
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, KenanKolat, sprach nach dem Treffen von einer «neuen Ära» derIntegrationspolitik. Die «Lebenslüge», Deutschland sei keinEinwanderungsland, «ist vorbei». Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) nannte den Gipfel eine «große Chance für unser Land». Wenn daraus im kommenden Jahr eine «nationale Strategie» werde, «haben wir eine ganz wichtige Antwort gegeben auf ein Problem, das in seiner Bedeutung zunimmt». Auch SPD-Chef Kurt Beck zeigte sich «für den Anfang zufrieden».
Vor dem Treffen im Kanzleramt war der Streit um Sanktionen fürZuwanderer, die sich der Integration verweigern, wieder aufgeflammt.Dies wurde auf dem Gipfel jedoch nur am Rande angesprochen. Es seider allgemeine Wunsch gewesen, dass jene Ausländer, die auf Dauer inDeutschland leben wollten, «eine offene Tür vorfinden», sagte Merkel,die jedoch betonte: «Es ist auch wichtig, dass die, die bei uns lebenwollen, auch gewisse Anstrengungen unternehmen.» Als Beispiel nanntesie das Erlernen der deutschen Sprache.
Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) hält strenge Strafenfür integrationsunwillige Zuwanderer weiterhin für notwendig. «Werals Lediger hier ist, arbeitslos wird und nicht einmal seinenIntegrationskurs besucht, muss das Land wieder verlassen», sagte erder «Neuen Presse» Hannover (Freitag). Nordrhein-WestfalensIntegrationsminister Armin Laschet (CDU) betonte hingegen, stattSanktionen brauche es das Signal: «Ihr seid uns willkommen.»
Die Kanzlerin nannte das Maß an Übereinstimmung auf dem Gipfel«recht hoch», sieht aber auch Probleme: «Es wird sicherlich nochschwierige Diskussionen geben.» Die Regierung hält einen Ausbau derIntegrationskurse, eine frühere Förderung der deutschen Sprache, mehrArbeitsmarktchancen durch Bildung, eine bessere Situation von Frauenund Mädchen durch Gleichberechtigung, Integration in Kommunen sowieStärkung der Bürgergesellschaft für notwendig. Dies soll mit Ländern,Kommunen und Zuwanderern in Arbeitsgruppen besprochen werden.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) warnte allerdingsdavor, schnelle Lösungen zu erwarten. «Wir stehen am Beginn eineslangen und sicherlich auch teuren Prozesses», sagte DStGB-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der «Leipziger Volkszeitung»(Samstag). Er mahnte verbindliche Finanzzusagen für die Kommunen an.Kritik kam von den Grünen. Fraktionschefin Renate Künast klagte, dieAufgabe der Integration werde auf Verbände und die Bürger abgewälzt.
Meist stieß der Integrationsgipfel jedoch auf ein positives Echo.Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) bezeichnete ihn als «ersteInitialzündung», Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit(SPD) als «hoffnungsvolles Zeichen». Bundestags-Vizepräsidentin PetraPau (Linkspartei) zeigte sich «angenehm überrascht», dass das ThemaSanktionen praktisch keine Rolle gespielt habe. Verschiedeneislamische Verbände waren ebenfalls zufrieden. Selbst der Zentralratder Muslime, der nicht eingeladen war, bot seine Zusammenarbeit an.
Rund 15 Millionen Menschen in Deutschland haben ausländischeWurzeln in ihrer Familie. Nach Ansicht der meisten Deutschenunternehmen sie aber zu wenig für ihre Integration. Eine Umfrage derForschungsgruppe Wahlen für das ZDF-Politbarometer ergab, dass 70Prozent vor allem Defizite der Ausländer bei der Eingliederung sehen.