Integration Integration: Konsequenzen für abfällige Aussagen über Türken?
Istanbul/Berlin/dpa. - Für den früheren Berliner FinanzsenatorThilo Sarrazin wird es nach den abfälligen Aussagen über Türken inDeutschland eng: Bundesbank-Präsident Axel Weber legte Sarrazinindirekt den Rücktritt aus dem Vorstand der Bundesbank nahe. Am Randeder Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Istanbulsagte Weber am Samstag, für die Bundesbank sei ein Reputationsschadenentstanden, der schnell behoben werden müsse. Auch die VdBBundesbankgewerkschaft in Frankfurt sprach sich am Sonntag für einenRücktritt Sarrazins aus. Er habe dem Ansehen der Bank erheblichenSchaden zugefügt und sei als Vorstandsmitglied nicht mehr tragbar,hieß es in einer Erklärung.
Es gehe um die Glaubwürdigkeit der Bundesbank, die ein hohesAnsehen genieße, sagte Weber. Dieser Verantwortung müsse sich jeder -«vom einfachen Bargeldbearbeiter und Chauffeur bis hin in die Spitzeder Bank» - bewusst sein. «Jeder in dieser Institution (...) muss mitsich selbst ins Gericht gehen, ob die Beiträge, die er liefert, zurFörderung dieser Institution beitragen», sagte Weber. Er sprach voneiner «bedenklichen Entwicklung». Sarrazins Verhalten sei nichtvereinbar mit den Zielen und Vorgaben der Bundesbank.
Über die Besetzung des Vorstandes entscheidet nicht die Bundesbankselbst, sondern die Politik. Sie kann ihn aber auch nicht einfachabberufen. Sarrazin, der Anfang Mai nach siebenjährigerSenatszugehörigkeit von Berlin in die Bundesbank-Zentrale nachFrankfurt am Main gewechselt ist, hatte mit Interview-Äußerungen inder Zeitschrift «Lettre International» für Empörung gesorgt.
Darin hatte er unter anderem gesagt, 70 Prozent der türkischen und90 Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin würden den deutschenStaat ablehnen. «Eine große Zahl an Arabern und Türken hat keineproduktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel, und eswird sich auch vermutlich auch keine Perspektive entwickeln. Das giltauch für einen Teil der deutschen Unterschicht, die einmal in densubventionierten Betrieben Spulen gedreht oder Zigarettenmaschinenbedient hat», hatte Sarrazin gesagt. «Ich muss niemanden anerkennen,der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seinerKinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchenproduziert.»
Er wolle die Debatte nicht weiter befeuern, sagte Weber am Randedes IWF-Treffens weiter. «Es ist vollkommen klar geworden, dass Dr.Sarrazin sich distanziert hat von seinen Bemerkungen.» DieEntschuldigung sei notwendig und angemessen gewesen.
Vor allem bei den türkischen Verbänden in Deutschland und regionalin Berlin waren Sarrazins Äußerungen auf Empörung gestoßen. Dietürkische Zeitung «Hürriyet» schrieb am Freitag von «schockierendenWorten» Sarrazins. Er habe die Türken und andere Ausländer damitbeleidigt. Die größte türkische Tageszeitung in Deutschlandbezeichnete Sarrazin als «unverschämt». Er habe «wie ein NPD-Mitglied» gesprochen.
Der Berliner SPD-Ortsverband Alt-Pankow hat nach Informationen desRBB-Radiosenders 88,8 einen Antrag auf ein Parteiordnungsverfahrengegen Sarrazin mit dem Ziel des Ausschlusses aus der SPD gestellt.Der Antrag muss laut SPD-Satzung in Berlin nun von der zuständigenKreisschiedskommission im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf behandeltwerden. Dort ist Sarrazin auch nach seinem Abschied aus dem Senat undaus Berlin als Parteimitglied gemeldet.
Sarrazins Äußerungen sind auch ein Fall für die BerlinerStaatsanwaltschaft geworden. «Das Landeskriminalamt prüft inAbsprache mit der Staatsanwaltschaft, ob durch den Wortlaut desInterviews die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten sind undsich ein Anfangsverdacht für einen strafbaren Inhalt ergibt», hatteein Sprecher der Staatsanwaltschaft am Freitag gesagt. Die Prüfungerfolge von Amts wegen. Noch sei kein förmliches Ermittlungsverfahreneingeleitet.