Innere Sicherheit Innere Sicherheit: Richter erklären Abschussbefugnis für nichtig

Karlsruhe/Berlin/dpa. - Nach einemUrteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mittwoch in Karlsruheverstößt das umstrittene Luftsicherheitsgesetz aus der Zeit der rot-grünen Koalition gegen die Menschenwürde. Nach dem Grundgesetz istdamit der Bundeswehr der Abschuss einer Maschine mit unschuldigenMenschen an Bord unwiderruflich verboten.
Politiker der großen Koalition und Bundeswehrangehörige befürchtennun Handlungsunfähigkeit und Wehrlosigkeit im äußersten Terrorfall.Die Opposition hingegen begrüßte das Urteil. Führende Unionspolitikerhielten auch mit Blick auf die Fußball-Weltmeisterschaft an derForderung fest, der Bundeswehr per Grundgesetzänderung einenerweiterten Einsatz im Inland zu ermöglichen. Die SPD verlangte einEnde dieser Debatte.
Nach dem Urteil ist Paragraf 14 des Luftsicherheitsgesetzes - ererlaubte dem Verteidigungsminister zur Verhinderung einer nochgrößeren Katastrophe den Befehl zum Abschuss einer Passagiermaschine- weder mit dem Grundrecht auf Leben noch mit der Garantie derMenschenwürde vereinbar. Die Tötung Unschuldiger wäre so selbst miteiner Verfassungsänderung nicht möglich (Az: 1 BvR 357/05 vom 15.Februar 2006).
«Der Schutz der Menschenwürde ist strikt und einer Einschränkungnicht zugänglich», sagte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier bei derUrteilsverkündung. Für den Abschuss einer nur mit Terroristenbesetzten Maschine komme hingegen eine Grundgesetzänderung in Frage.
Karlsruhe gab mit dem Urteil den Verfassungsbeschwerden derfrüheren FDP-Spitzenpolitiker Burkhard Hirsch und Gerhart Baum sowieweiterer vier Kläger statt. Sie hatten das Anfang 2005 in Kraftgetretene Luftsicherheitsgesetz als Preisgabe fundamentalerRechtssätze kritisiert. Baum sagte, das Gericht habe jene Politikerzurechtgewiesen, «die die Sicherheit über die Grundrechte gestellthaben».
Nach den Worten der Richter würden durch den Abschuss einesgekaperten Passagierjets Unschuldige zum bloßen Objekt einerstaatlichen Rettungsaktion gemacht. Die Opfern, die selbstschutzbedürftig seien, würden «verdinglicht und zugleichentrechtlicht». Zudem lasse sich die Lage bei Erlass einesAbschussbefehls wahrscheinlich nicht immer voll überblicken.
Die fehlende Zuständigkeit des Bundes für eine Abschussbefugnisbegründete der Senat damit, dass das Grundgesetz den Einsatzmilitärischer Waffen zur Terrorabwehr nicht zulasse. Die Bundeswehrdürfe zwar nach Artikel 35 zur Unterstützung der Polizei bei einem«besonders schweren Unglücksfall» herangezogen werden, aber - da essich um polizeiliche Gefahrenabwehr handele - nur solche Hilfsmitteleinsetzen, wie sie auch der Polizei zur Verfügung stehen.
SPD-Fraktionschef Peter Struck sagte, das Gericht habe die Politikbeim Umgang mit einer terroristischen Bedrohung auf dem Luft- undSeeweg «allein gelassen». Für eine eventuelle Neuregelung habe dasUrteil der Politik eine Verantwortung auferlegt, der sie kaum gerechtwerden könne. Die Politik müsse klären, ob die Bundeswehr bei derAbwehr von Terror-Bedrohungen auf dem Luft- und Seeweg überhaupteingesetzt werden könne. Auch der Bundeswehrverband erklärte, dieRichter hätten den Staat «praktisch zur Handlungsunfähigkeitverurteilt».
Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) forderte ebenso wiesein hessischer Amtskollege Roland Koch (CDU) eine schnelle und klareRegelung im Grundgesetz. Koch sagte, das Urteil mache Deutschland«für einige spezielle Formen terroristischer Angriffe zur Zeitwehrlos». Deutschland dürfe aber nicht wehrloser sein als alleNachbarländer. Das Bundesinnenministerium will nun «zügig, aber ohneübertriebene Hast» eine verfassungsmäßige Neuregelung zum Schutz vorTerrorangriffen prüfen. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU)warnte vor vorschnellen Entscheidungen über einen Einsatz derBundeswehr im Innern.