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Hartz-IV-Familien Hartz-IV-Familien: Nur Bares ist Wahres

Von CHRISTIAN RATH 23.08.2011, 17:53

KASSEL/MZ. - Konkret ging es um eine Familie aus der Nähe von Leipzig. Im Dezember des Jahres 2006 überwies die Großmutter ihren drei Enkeln - sieben, vierzehn und fünfzehn Jahre alt - je 100 Euro als Weihnachtsgeschenk. Daneben erhielten zwei der Enkel von der Oma noch je 135 Euro zum Geburtstag. Das kommunale Jobcenter im Landkreis Leipzig kürzte daraufhin das Arbeitslosengeld II (ALG II) für die Familie um einen entsprechenden Betrag.

Jobcenter zählt nach

Die Oma hatte den Enkeln überlassen, wofür sie das Geld verwenden. Sie sollten sich einen Wunsch erfüllen, den sie sich sonst nicht leisten könnten. Nach Angaben der Mutter kauften sich die Kinder von dem Geld Playmobil-Spielzeug und Kleidung, außerdem finanzierten sie damit ihre Geburtstagsfeiern. Das Jobcenter argumentierte: Wenn jemand der Familie Geld zur freien Verfügung zuwende und so das Familieneinkommen erhöhe, sei diese weniger bedürftig und brauche weniger Hilfe vom Staat.

Das sächsische Landessozialgericht in Chemnitz entschied im April 2010 zugunsten des Jobcenters. Die ALG-II-Verordnung erlaube nur Geschenke bis zu 50 Euro pro Jahr als Bagatellgrenze. Da die Geschenke der Oma eindeutig darüber lagen, mussten sie in vollem Umfang als Einkommen der Familie angerechnet werden.

Seit Jahresbeginn 2009 gilt zwar eine Sonderregelung für Geschenke anlässlich von Firmung, Kommunion, Konfirmation und Jugendweihe. Hier sind Geschenke in Höhe von derzeit insgesamt 3 100 Euro pro Kind anrechnungsfrei. Diese Regelung gelte aber nur für Feste, bei denen das Kind in die Gemeinschaft der Gläubigen oder der Erwachsenen aufgenommen werden, betonten die Chemnitzer Richter, also nicht für andere Feste wie Weihnachten oder Geburtstage.

Die Leipziger Familie suchte nun eine Grundsatzentscheidung und ging in Revision zum Bundessozialgericht. In der halbstündigen Verhandlung wurde am Dienstag aber rasch deutlich, dass das Jobcenter in seinem Rückforderungsbescheid formale Fehler gemacht hat. Der Bescheid sei wohl "zu unbestimmt", signalisierten die Richter. Daraufhin nahm das Jobcenter den Bescheid zurück und erledigte damit das Verfahren. Die Familie aus Sachsen darf ihre Hartz IV-Leistungen also ungekürzt behalten.

Neue Rechtslage

Die Richter hatten die formale Erledigung des Verfahrens sogar angeregt, weil ein Urteil ohnehin nur Bedeutung für die Vergangenheit gehabt hätte. Denn seit 1. April gilt für die Höhe und Berechnung der Hartz-IV-Sätze eine neue Rechtslage. Auch die alte Bagatellgrenze für Geschenke ist entfallen. Seit April sind Geldgeschenke auf das Einkommen von Hartz-IV-Familien vielmehr dann anzurechnen, wenn sie die Lage der Beschenkten "so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen der Grundsicherung nicht gerechtfertigt wären". Was das genau bedeutet, wird nun in neuen Verfahren geklärt werden müssen. Bis diese dann auch beim Bundessozialgericht landen.

Generell aber gilt: Sachgeschenke wie Spielzeug zählen nicht zum Familieneinkommen. Und wenn man Geldgeschenke nicht überweist, sondern persönlich übergibt, kann das Jobcenter auch weniger Fragen stellen. Vielleicht freuen sich die Enkel ja auch über einen Besuch. Kommentar

Aktenzeichen: B 14 AS 74 / 10 R