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Wohlstandsbericht Grünen-Vize Kerstin Andreae mit Jahreswohlstandsbericht: Ein durchwachsenes Zeugnis für Deutschland

Von Markus Sievers 19.01.2017, 16:24
Grünen-Vize Kerstin Andreae
Grünen-Vize Kerstin Andreae imago stock&people

Berlin - Wenn die Bundesregierung nächste Woche ihren Jahreswirtschaftsbericht vorstellt, präsentiert sie der Öffentlichkeit nach Einschätzung der grünen Fraktionsvize  Kerstin Andreae nur die halbe Wahrheit. Ihre Fraktion ließ daher zum zweiten Mal einen Jahreswohlstandsbericht erstellen, der die Entwicklung in Deutschland umfassender abbilden soll.

Die stufen die Autoren Roland Zieschank vom Forschungszentrum für Umweltpolitik in Berlin und Hans Diefenbacher von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft Heidelberg trotz des anhaltenden  Aufschwungs und des Beschäftigungsbooms bestenfalls als durchwachsen an. In Sachen Ökologie diagnostizieren sie Stillstand. Beim Thema  sozialer Zusammenhalt sehen sie Licht und  Schatten. Und auch bei der ökonomischen Entwicklung erkennen sie Warnzeichen, etwa durch die geringen Investitionen.

Drei Wohlstandsindikatoren stehen auf Rot

Von den neun untersuchten Wohlstandsindikatoren stehen laut ihrer Untersuchung drei auf Rot: der ökologische Fußabdruck im Verhältnis zu den biologischen Kapazitäten, die Artenvielfalt und Landschaftsqualität  sowie die Nettoinvestitionen. Etwas besser stehe es um die Einkommensverteilung, die Bildung und die Lebenszeit, welche die Menschen in Deutschland im Schnitt gesund verbringen können. Hier ergab sich jeweils ein Gelb.

Gut sieht es dem Bericht zufolge mit dem Anteil der Umweltgüter an der Bruttowertschöpfung und der Regierungsführung (Governance Index) aus. Es gehen also durchaus auch wirtschaftliche Komponenten in die Betrachtung ein. So ermittelten die Wissenschaftler die Verteilungssituation in Deutschland und setzten dafür das Einkommen der reichsten 20 Prozent ins Verhältnis zu dem Einkommen der ärmsten 20 Prozent.

Verteilungssituation besser als 2015

Demnach verbesserte sich der Wert im Jahr 2015 wieder leicht auf 4,8. Dennoch liegt er weit über den vor der Finanzkrise üblichem Niveau. 2005 etwa betrug die Relation noch 3,8, weil die Abstände zwischen Oben und Unten deutlich geringer waren. Zur Ermittlung der Artenvielfalt und Landschaftsqualität schauten sich die Forscher beispielsweise an, wie sich die Bestände von 59 repräsentativen Vogelarten entwickelten.

Daraus lässt sich ablesen, dass der Flächenverbrauch weiter Naturräume zerstört und die industrielle Landwirtschaft die  Biodiversität belastet.

Wie kann Lebensqualität gemessen werden?

Die  Initiative der Grünen basiert auf den Arbeiten einer vom Bundestag eingerichteten Enquetekommission. Darin beschäftigten sich die Abgeordneten mit der Hilfe von  Wissenschaftlern mit der Frage, wie Lebensqualität gemessen werden kann. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) erfasst bekanntlich nur das, was am Markt erwirtschaftet wird. Die Pflegeleistung im Heim steigert damit das BIP, die Betreuung zu Hause nicht. Ein Autounfall erhöht das BIP, wenn das Fahrzeug anschließend in einer Werkstatt repariert wird.

Umweltzerstörung kann so gesehen wohlstandsfördernd wirken, wenn die Schäden anschließend aufwändig etwa durch Dämme an Flüssen oder die Reinigung von verseuchtem Wasser wieder behoben werden. Eine neue Autobahn lässt das BIP anschwellen. Der Wert der dafür gerodeten Bäume geht  nicht  in  die Berechnung ein. Diese vielen Defizite des BIP räumen auch Ökonomen ein. Der Sachverständigenrat kam dennoch  zum Schluss, diese Kennziffer sei unverzichtbar.

Die Bundesregierung hat eine ganze Reihe von Aktivitäten entfaltet, um die traditionelle Wirtschaftsberichterstattung um eine Umwelt- und Sozialberichterstattung zu ergänzen. So erstellt das das Statistische Bundesamt mit Hilfe von 63 Indikatoren eine  Bilanz der offiziellen  Nachhaltigkeitsstrategie.

Regelmäßig erscheint auch der Armuts- und Reichtumsbericht. Die Autoren des Jahreswohlstandsberichts kritisieren jedoch, dass all die Veröffentlichungen weitgehend unverbunden nebeneinander stünden. „Sinnvoll wäre zumindest eine gewisse Verknüpfung“, meinen sie. Auf internationaler Ebene laufen die Bemühungen über eine bessere Erfassung des Wohlstands seit vielen Jahren. So beauftragte bereits der frühere französische Präsident Nicolas Sarkozy prominente Volkswirte wie die Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Amartya Sen damit, einen neuen  Wohlstandsindikator zu  entwickeln. Die Ökonomen schlugen vor, zum Beispiel auch die Freizeitmöglichkeiten, den Zugang zu  Bildung und die Chancen zur politischen Beteiligung mit zu erfassen.