Große Koalition GroKo: Der Osten taucht im Sondierungspapier kaum auf

Ostdeutschland spielt im Sondierungspapier von Union und SPD keine nennenswerte Rolle. Ein eigenes Ost-Kapitel gibt es nicht. Nur dann und wann wird der Osten erwähnt, überwiegend in Absichtserklärungen.
„Wir werden Strukturschwächen im ländlichen Raum, in Regionen, Städten und Kommunen in allen Bundesländern bekämpfen, um gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, zum Beispiel durch Dezentralisierungsstrategien“, heißt es hier wie auch an anderen Stellen entsprechend sperrig. Ziel seien „gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land sowie in Ost und West“. Dazu soll eine gleichnamige Kommission ins Leben gerufen werden; die soll konkrete Vorschläge erarbeiten. Für strukturschwache Regionen, denen es an unternehmerischer Innovationskraft fehlt, wollen die etwaigen Koalitionäre „zielgenaue Förderinstrumente entwickeln“. Die östlichen Bundesländer sollen bei ihren Anstrengungen in der Wissenschafts- und Innovationspolitik besonders unterstützt werden.
Innovation als Königsweg
Das berührt einen wesentlichen Punkt. Denn die Förderung von Forschung und Entwicklung gilt als wesentlich, weil betriebliche Forschung überwiegend in westdeutschen Großunternehmen stattfindet. Dabei gilt Innovation als Königsweg, damit die Industrie auch im Osten wachsen kann. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sagte deshalb schon vor Abschluss der Sondierungen: „Wenn wir wollen, dass es in den neuen Ländern nochmal einen richtigen Schub gibt, dann geht das nur mit Innovationen.“
Überdies soll Hilfe zur Selbsthilfe für Kommunen geprüft werden, die unter hohen Altschulden und Kassenkrediten leiden. In jedem Fall sollen alle bisher kommunal entlastenden Finanzprogramme fortgeführt oder angepasst werden. Union und SPD wollen schließlich bürgerschaftliches Engagement durch konkrete Maßnahmen stärken. Bei den Erstattungen an die Rentenversicherung für die Ansprüche aus den Sonder- und Zusatzversorgungssystemen der ehemaligen DDR möchte der Bund die Ostländer entlasten.
Aufbau Ost ist kein Streitthema
Von konkreten Geldbeträgen ist nirgends die Rede – wenn man von insgesamt drei Milliarden Euro für regionale Strukturpolitik bzw. ländliche Räume absieht. Zugleich wird nicht deutlich, wie viel davon in den Osten fließen würde. Der vereinbarte Abbau des Solidaritätszuschlages würde Ostdeutschland nicht tangieren, weil der 2019 auslaufende Solidarpakt II fest vereinbart ist und der Soli einem verbreiteten Missverständnis zum Trotz ohnehin in den allgemeinen Steuertopf fließt und gar nicht speziell für die neuen Länder bestimmt ist – selbst wenn sich die Begriffe Solidaritätszuschlag und Solidarpakt sehr ähneln. Was in dem Papier unter anderem fehlt, ist eine Aussage zu der Frage, ob es weiterhin einen Ostbeauftragten geben soll. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hatte zuletzt angeregt, die Aufgabe wieder im Kanzleramt anzusiedeln, wo sie in den 1990er-Jahren schon mal war. Die aktuelle Ostbeauftragte Iris Gleicke (SPD) ist Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium und scheidet definitiv aus.
Die Tatsache, dass in dem Papier keine detaillierteren Aussagen zu finden sind, dürfte damit zu tun haben, dass der Aufbau Ost im Prinzip nicht streitig ist. Näheres wäre dann in einem ausführlicheren Koalitionsvertrag zu regeln. Das ändert wiederum nichts daran, dass Handlungsbedarf besteht. Im letzten Jahresbricht zum Stand der deutschen Einheit vom September 2017 ist zu lesen: „Obgleich sich die Wirtschaftskraft zwischen Ost- und Westdeutschland in den letzten Jahren weiter angenähert hat, beträgt der durchschnittliche Abstand 2016 noch 27 Prozent.“ Das zieht Ungleichheiten auf nahezu allen anderen Ebenen nach sich.