Gesundheitspolitik Gesundheitspolitik: Experte gibt radikaler Reform wenig Chancen

Berlin/dpa. - Eine radikale Gesundheitsreform, wie sie die SPDmit der Bürgerversicherung oder die CDU mit der Kopfpauschaleanstrebt, hat aus Expertensicht wenig Realisierungschancen. DerBerliner Ökonom, Gert Wagner, der zeitweise in der SPD-Arbeitsgruppemitgearbeitet hatte, schreibt in der «Frankfurter AllgemeinenZeitung» (Montag), eine grundlegende Finanzreform sei nur schwerdurchzusetzen. «Deshalb wird der Politik nichts anderesübrig bleiben, als kurzfristig über Kostensenkungen imGesundheitswesen nachzudenken.»
Auch der Vorsitzende des Bundestagsgesundheitsausschusses, derSPD-Politiker Klaus Kirschner, prophezeit seiner Partei bei derBürgerversicherung erheblichen Widerstand. «Wer allerdings glaubt,dass er mit einem solchen Konzept nur Zustimmung erntet, verkennt dieSituation», sagte er der «Stuttgarter Zeitung» (Montag). «Denn esgeht darum, zur Finanzierung des Gesundheitswesens dieBemessungsgrundlage zu verbreitern, indem neue Personengruppenpflichtversichert werden. Dabei wird es Gewinner geben, aber man wirdauch einigen auf die Zehen treten. Und letztere, darunter die privateKrankenversicherung, ... werden natürlich protestieren.»
Dagegen forderte der Präsident des Bundesverbandes der DeutschenIndustrie (BDI), Michael Rogowski, einen Systemwechsel. Der FaktorArbeit müsse «mittelfristig völlig befreit werden von den Abgaben fürdie Krankenversicherung», sagte er der «Berliner Zeitung» (Montag).Seine Umsetzungsvorstellungen entsprechen im Wesentlichen demKopfpauschalen-Modell der CDU.
Der SPD-Vorstand hatte am Sonntag Eckpunkte für eineBürgerversicherung beschlossen, obwohl eine Einführung nach denWorten von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bis zum Herbst 2006nicht geplant ist. Der Vorstand ließ offen, ob auf hoheKapitaleinkünfte Beiträge oder ein Steuerzuschlag erhoben werdensollen.
Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) äußerte sich nachInformationen der «Berliner Zeitung» intern verärgert über die Ideeeines Steuerzuschlags. «Es ist in der derzeit noch labilenKonjunkturlage nicht angezeigt, eine Steuererhöhungsdiskussion zuführen», zitierten ihn Mitarbeiter laut dem Bericht.
Der SPD-Vorstand hatte ferner beschlossen, die für das nächsteJahr geplante Zahnersatz-Pauschale aus der Gesundheitsreform zustreichen. Die bereits beschlossene Ausgliederung des Zahnersatzesaus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen soll entwederauf die Zeit nach 2006 verschoben werden oder über eineneinkommensabhängigen Prozentualbeitrag finanziert werden. Die CDUvermied eine Festlegung.
Die Grünen-Expertin Birgitt Bender forderte Regierung und SPD auf,die Arbeitgeber weiterhin zu entlasten. «Der Zahnersatz sollte aufjeden Fall wie geplant allein von den Versicherten gezahlt werden»,sagte sie der «Financial Times Deutschland» (Montag). Sie schlug vor,den Zahnersatz zwar nicht auszugliedern, den Anteil der Versichertenam Krankenkassenbeitrag aber 2005 um etwa 0,2 Prozentpunkteanzuheben. «Man wäre dann bei der Belastung, die auch nach demderzeitigen Gesetz erreicht würde.»