1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Gesellschaft: Gesellschaft: «Deutschlands sexuelle Tragödie»

Gesellschaft Gesellschaft: «Deutschlands sexuelle Tragödie»

Von Nina Jerzy 10.09.2008, 14:42
Flirten, Liebe und Erotik sind für Jugendliche wichtige Themen. (Foto: dpa)
Flirten, Liebe und Erotik sind für Jugendliche wichtige Themen. (Foto: dpa) gms

Berlin/ddp. - In den folgenden Monaten hat das Mädchen mit rund 50 Jungengeschlafen, als 15-Jährige wurde sie schwanger und hat abgetrieben.«Jungs sind mir wichtiger als die Schule», sagt das Mädchen. «Da habeich eine Eins.»

Diese und 31 weitere Erfahrungsberichte schildert das am Mittwocherschienene Buch «Deutschlands sexuelle Tragödie». Autor BerndSiggelkow, Gründer des christlichen Kinder- und Jugendhilfswerks DieArche, attestiert darin eine «sexuelle Verrohung» von Jugendlichenals Folge von Vernachlässigung und Perspektivlosigkeit. «Wenn Kindernicht mehr lernen, was Liebe ist», so der Untertitel des Buchs, aberkeine «sexuelle Perversion» auslassen, bleibt das Seelenleben auf derStrecke - mit schlimmen Folgen für die Gesellschaft, wie der Pastorwarnt.

Siggelkow und Co-Autor sowie Arche-Sprecher Wolfgang Büscherfordern einen strikteren Jugendschutz bei pornografischen Inhaltenauf Handys und im Internet. Sollte die «Hypersexualisierung» derJugendlichen nicht aufgehalten werden, gehe Deutschland einer«düsteren Zukunft» mit mehr Gewalt, Geschlechtskrankheiten undTeenagerschwangerschaften entgegen.

Denn Bestandteil der von ihnen attestierten «extremen sexuellenVerwahrlosung» ist, dass die Jugendlichen zum Teil mit ihren Elternharte Pornos schauen und die Texte von Rappern wie Bushido undFrauenarzt Wort für Wort kennen, in Bezug auf Verhütung und Aidsjedoch erschreckend unaufgeklärt sind. Da würden Kopfstand oderJoggen nach dem Sex als todsichere Verhütungsmethoden gelten, sagteSiggelkow bei der Vorstellung seines Buchs in Berlin. «Es greift umsich», weiß er.

Für eine derartige Warnung sieht Marita Völker-Albert von derBundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hingegen keinen Anlass.Es gebe «in keinster Weise» einen Trend zu früherem undgedankenloserem Sex, sagte die Expertin. Seit 1989 habe unverändertetwa jeder zehnte 14-Jährige und jeder fünfte 15-Jährige bereitsGeschlechtsverkehr.

Auch die Erhebungen des Statistischen Bundesamts geben auf denersten Blick keinen Grund zur Besorgnis. Laut der Wiesbadener Behördeist die Zahl der Neugeborenen von Müttern bis 15 Jahren seit 2002kontinuierlich gesunken und lag 2007 bei 733. Hatten 2004 noch 779Mädchen unter 15 Jahren eine Schwangerschaft abgebrochen, waren es imvergangenen Jahr 494. Bei den 15- bis 18-Jährigen sank die Zahl derAbtreibungen im selben Zeitraum von 7075 auf 5681.

Völker-Albert sprach in Bezug auf Siggelkows Buch von«Einzelfällen». «Das sind zwei getrennte Welten», sagte sie imddp-Gespräch.

Auch Siggelkow sieht in den Erfahrungsberichten »eher einGroßstadt-Phänomen«, bei dem alleinerziehende, überforderte Müttersich nicht genügend um ihre Kinder kümmern können. Die statistischenDaten sind den Autoren jedoch zu ungenau. Diese müssten nach Ansichtvon Büscher stärker nach sozialen Umständen aufgeschlüsselt werden.

Auch der Journalist Walter Wüllenweber, der mit seinem»Stern«-Artikel »Alles Porno!« im vergangenen Jahr das Buch angeregthatte, hält das vorliegende statistische Material für unzureichend.Für die meisten Kinder und Jugendlichen in Deutschland laufe estatsächlich besser, sagte Wüllenweber bei der Buchpräsentation. Diesverdeutliche letztlich aber nur die Teilung der Gesellschaft, in derbestimmte Gruppen abgehängt würden. »Dazu gibt es keine Studie«, soWüllenweber.

Bernd Siggelkow / Wolfgang Büscher: »Deutschlands sexuelleTragödie. Wenn Kinder nicht mehr lernen, was Liebe ist", GerthMedien, 2008, 14,95 Euro, ISBN 978-3-86591-346-3

Das Buch «Deutschlands sexuelle Tragödie» der Autoren Wolfgang Büscher und Bernd Siggelkow. (Foto: dpa)
Das Buch «Deutschlands sexuelle Tragödie» der Autoren Wolfgang Büscher und Bernd Siggelkow. (Foto: dpa)
dpa-Zentralbild