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Geschichte Geschichte: «Wo, bitte, geht's zur Mauer?»

25.02.2009, 07:49
In Berlin-Friedrichshain hat die East Side Gallery einen frischen Anstrich bekommen. (FOTO: DPA)
In Berlin-Friedrichshain hat die East Side Gallery einen frischen Anstrich bekommen. (FOTO: DPA) dpa

Berlin/dpa. - «Wo, bitte,geht's zur Mauer?» und «Wo stand Hitler bei der Eröffnung der Spiele1936?», lauten sie. Die meisten Besucher reagieren auf Antworten vonReiseführern und Einheimischen enttäuscht. Sie akzeptieren, dass esHitlers Platz auf der Haupttribüne des Olympiastadions nach derTotalsanierung der Arena einfach nicht mehr gibt. Doch dass ihnenBerlin 20 Jahre nach dem Mauerfall vom geschichtsträchtigen «Denkmal»Mauer nur mehr wenige Überreste zu bieten hat, nehmen Touristen ausaller Welt meist mit Unverständnis, teils sogar verärgert auf.

Der Biologe Kenneth Frick (52), vom Zoo San Francisco mit Familieauf Berlin-Besuch wegen Eisbär Knut, sagt es bei der Besichtigung desBrandenburger Tors in gutem Deutsch drastisch: «Eine gute Mauer-Showkönnte jedes Jahr Millionen bringen, der Flughafen Tempelhof ist zu,nur Knut ist noch da, ich weiß nicht, was mit euch hier los ist.»Seine Frau Barbara meint dazu: «Wir stellten uns wirklich viel mehrzum Sehen und zum Anfassen vor.»

Deutlich in der Minderheit sind Berlin-Besucher, die Verständnisund teils sogar Mitgefühl aufbringen für die kurz nach dem Fall derMauer 1989 weit verbreitete Haltung der Berliner: Das Ding muss wegund zwar möglichst schnell und komplett, hieß es damals kategorisch.

Der Sprecher der Berlin Tourismus Marketing GmbH (BTM), ChristianTänzler, erklärt das damalige Verhalten heute so: «Es war klar, dassdie Menschen, die jahrzehntelang unter der Mauer gelitten haben, nundas Bedürfnis hatten, sich radikal von ihr zu befreien.» Jetzt müssedie Balance für ein «nachhaltiges Gedenken» wieder gefunden werden.Das Luxushotel Westin Grand in der Friedrichstraße hat im Mauer-Gedenkjahr mit Geschäftssinn ein Mauer-Segment in die Lobby gestellt.Wer ein Arrangement bucht, bekommt einen Helm, Hammer und Meißel, unddarf sich als «Mauerspecht» Stücke fürs Regal zu Hause abhacken.

Vor Mauerstücken am Potsdamer Platz DDR-Visum

An den wenigen anderen Plätzen in Berlin, wo Mauer-Reste nochsichtbar sind, drängen sich die Menschen. Patricia Ruiz (25),Studentin aus Asunción in Paraguay, überlegt sich mit ihrer Freundin,ob sie sich von einem Mann in Volkspolizei-Uniform ein «Original DDR-Visum mit Stempel» in den Reisepass einheften lassen soll, gegenGebühr in Euro, versteht sich. Der Mann, der nicht gern fotografiertwerden will, bedient seine Kunden direkt vor sechs Mauer-Segmenten amPotsdamer Platz. Die trübe Nebel- und Regensuppe über Berlin wirdhier aufgehellt durch fast pausenlose Foto-Blitzlichter. Sarahfotografiert Mareike, Mareike fotografiert Sarah vor der Mauer, dannlachen beide und schreiben mit dickem Filzer unter einen gelbenGraffiti-Rest: «Sarah und Mareike waren hier, 23. Februar 2009».

Bernauer Straße: Trostloser Ausflug ins Niemandsland

«Bis 2011 soll die Gedenkstelle erweitert und ausgebaut werden»,heißt es für die Besucher lapidar. Daneben hängt an einem Gitter ander Bernauer Straße eine Werbung: Taxi-Tour zur Mauer, 60 Euro, 2Stunden. Hier, wo nach dem Mauerbau Menschen aus Häuserfenstern inden Westen sprangen und einige den Tod fanden, soll die zentraleGedenkstätte des Senats entstehen. Der politische Streit tobt noch.Der heutige Anblick in eine Art Niemandsland ist trostlos. Nichtserinnert wirklich an die Mauer, selbst die Graffiti sindüberspachtelt, die 40 Meter lange Mauer-Front wirkt wie eine harmloseHauswand irgendwo in Berlin-Steglitz. Missmutig stapfen die wenigenTouristen vorbei, die die von allen S- und U-Bahnstationen weitabgelegene historische Stätte gefunden haben. Eis und riesigeWasserlachen erlauben kaum einen Blick auf die Stelltafeln.

East Side Gallery - Fotos von der Mauer unter Lebensgefahr

118 Künstler aus 21 Ländern bemalten die Mauerstücke an derMühlenstraße in Friedrichshain. Die 1990 eröffnete Gallery ist miteiner Länge von mehr als 1300 Metern die größte in Berlin am Stückerhalten gebliebene Mauerfläche. Nachdem der Zahn der Zeitunbarmherzig an den Bildern nagte - weltweit besonders bekannt sindder innige Honecker-Breschnew-Kuss und der Trabi, der durch die Mauer«bricht» - begann im Oktober 2008 die fast 2,5 Millionen Euro teureSanierung. Das gefährlichste Abenteurer ist das Fotografieren. Weilder Gehweg dort recht schmal ist, springen immer wieder Touristen aufdie Fahrbahn und lichten in Sekunden die Gallery-Graffiti unterLebensgefahr ab.

Checkpoint Charlie und Brandenburger Tor - Magnete ohne Mauer

Auch ohne einen einzigen Stein oder Betonbrocken aus der Mauersind die Schauplätze am Checkpoint Charlie und am Brandenburger Torunumstritten die ersten Anziehungspunkte für Millionen von Touristenaus Deutschland und der Welt. Aber auch hier wünschten sich vieleGäste einen Teil der Mauer zum Anschauen zurück. Die Mitarbeiter anden Tresen im «Raum der Stille» und im Souvenirladen auf der anderenTor-Seite bestätigen, dass täglich oft Menschen nach der Mauerfragen. Das Foto vom Berlin-Besuch mit einem als Amerikaner oderRussen verkleideten Studenten am Checkpoint Charlie oder vorm Tor istvielen nur ein schwacher Ersatz. Die Mauer, so der einhellige Wunsch,muss zum Vorzeigen für zu Hause mit drauf. Ein paar farbige oderanders geformte Pflastersteine oder ein im Boden glänzendesMetallband interessieren kaum.

Verlauf der Mauer in Berlin bis 1989, interessante Ziele für «Mauer-Touristen» (GRAFIK: DPA)
Verlauf der Mauer in Berlin bis 1989, interessante Ziele für «Mauer-Touristen» (GRAFIK: DPA)
dpa