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Geschichte Geschichte: Wer zündete 1933 den Reichstag an?

Von Jürgen Grünhagen 26.02.2008, 09:07
Sitz des Deutschen Bundestages: Das Reichstagsgebäude in Berlin (Foto: dpa)
Sitz des Deutschen Bundestages: Das Reichstagsgebäude in Berlin (Foto: dpa) dpa/dpaweb

Berlin/dpa. - Der 24-Jährige gab an, das Feuer allein gelegt zu haben, um ein Signal zumKampf gegen Hitler zu setzen, der knapp einen Monat zuvor die Machtin Deutschland übernommen hatte. Trotz der schnellen Verhaftungbrodelte die Gerüchteküche: Hatten nicht vielleicht doch dieNationalsozialisten selbst das von ihnen verächtlich «Quasselbude»genannte Symbol der Demokratie in Brand gesetzt?

Hitler, Hermann Göring und Joseph Goebbels trafen wenige Minutennach dem Alarm am Brandort ein. Für Göring waren die Drahtzieherklar: «Das ist der Beginn des kommunistischen Aufstandes!» Hitlertobte: «Es gibt jetzt kein Erbarmen; wer sich uns in den Weg stellt,wird niedergemacht.... Jeder kommunistische Funktionär wirderschossen, wo er angetroffen wird.»

Noch in der Nacht wurden die Mitglieder der KPD-Reichstagsfraktionfestgenommen. Einen Tag nach dem Brand verabschiedete dasReichskabinett eine Notverordnung, die «zur Abwehr kommunistischerstaatsgefährdender Gewaltakte» alle Grundrechte außer Kraft setzte.Für Brandstiftung wurde die Todesstrafe eingeführt - rückwirkend.

Einen Verzicht auf ein zumindest äußerlich rechtsstaatlichesVerfahren konnten sich die Nazis noch nicht leisten. Am 21. September1933 begann vor dem Leipziger Reichsgericht der Prozess gegen van derLubbe, den KPD-Fraktionschef Ernst Torgler, den bulgarischenKommunisten Georgi Dimitroff sowie zwei seiner Landsleute. Am 23.Dezember wurde van der Lubbe zum Tode verurteilt. Die anderenAngeklagten wurden freigesprochen.

Nach dem Krieg begann in der Öffentlichkeit ein heftiger Streitüber den oder die wahren Täter. Bis heute - 75 Jahre nach dem Brand -existieren zu den Hintergründen drei Theorien:

- Van der Lubbe legte das Feuer tatsächlich allein. Die Nazisnutzten die Gelegenheit, um zu offenem Terror gegen alle potenziellenGegner überzugehen und ihre gerade gewonnene Macht zu festigen.

- Anzeichen für einen kommunistischen Aufstand gab es nachÜberzeugung von Historikern nie. Die Nazis glaubten aber dennochdaran und schalteten deshalb zunächst die Anhänger der KPD undschließlich alle potenziellen Gegner aus.

- Die Nazis selbst legten den Brand, um einen Vorwand für denfolgenden Terror zu haben und besonders die bis zur Machtübernahmeder Nazis starke KPD vor der noch anstehenden Wahl am 5. März zuschwächen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte zunächst die Überzeugung vor,die Nationalsozialisten hätten das Feuer gelegt. Ende der 50er Jahregewann die These neue Nahrung, van der Lubbe habe allein das riesigeGebäude angezündet. Der Amateurhistoriker Fritz Tobias vertrat,unterstützt vom Experten Hans Mommsen, die Überzeugung, derNiederländer habe allein gehandelt.

Dagegen wandte sich ein sogenanntes Internationales Komitee zurwissenschaftlichen Erforschung der Ursachen und Folgen des ZweitenWeltkriegs. Es präsentierte Anfang der 70er Jahre Dokumente, mitdenen die Verantwortung der Nazis belegt werden sollte, an denen esaber auch Zweifel gibt.

Wohl der Großteil der Historiker neigt eher der These von derTäterschaft van der Lubbes zu. Heinrich August Winkler äußert inseinem Buch «Der Weg in die Katastrophe» die Überzeugung, mit anSicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit habe van der Lubbe das Feuergelegt. Auch sein Kollege Hans-Ulrich Wehler geht von van der Lubbeals alleinigem Täter aus.

Dennoch gibt es bis in die jüngste Zeit Zweifel. So schriebenAlexander Bahar und Wilfried Kugel, dass SA-Leute durch einenGeheimgang vom Palais des Reichstagspräsidenten Göring aus in denPlenarsaal gelangt seien. Dort hätten sie das Feuer vorbereitet, dasvan der Lubbe - von einem Nazi-Agenten bestärkt - später legte. DerPublizist Otto Köhler schrieb 2005, die Liste mit den Namen der zuVerhaftenden sei schon sechs Stunden vor dem Brand an die Polizeiverschickt worden.

Van der Lubbe wurde am 10. Januar 1934 geköpft. Auf den Tag 74Jahre später teilte die Bundesanwaltschaft in diesem Januar mit,«dass das Urteil gegen den im Reichstagsbrandprozess verurteilten Marinus van der Lubbe aufgehoben ist».