1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Geschichte: Geschichte: Vor 65 Jahren rettete Bulgarien 50 000 Juden

Geschichte Geschichte: Vor 65 Jahren rettete Bulgarien 50 000 Juden

Von Elena Lalowa 07.03.2008, 07:48

Sofia/dpa. - Auch er sollte mit seinerFamilie in den Tod geschickt werden, erinnert er sich der heutegrauhaarige ehemalige Bulgarien-Korrespondent der spanischen AgenturEFE. Die Züge standen schon bereit, da sagte Sofia im letzten Moment die bereits zugesagte Massendeportation ab.

Zwar wurden die rund 50 000 Juden mit bulgarischerStaatsbürgerschaft, die damals in dem mit Nazi-Deutschlandverbündeten Balkanland lebten, gerettet, doch waren sie denantisemitischen Gesetzen «zum Schutz der Nation» ausgesetzt. 28 000Juden wurden wie Frances von der Hauptstadt Sofia aufs Landumgesiedelt. «Meine Mutter und meine neun Jahre alte Schwester kamennach Nowi Pasar in Ostbulgarien», sagt Frances, der auch ehemaligerChefredakteur der in Sofia herausgegebenen «Jüdischen Nachrichten»war. Sein Vater wurde in verschiedene Arbeitslager gesteckt.

An ihre Rettung vor der Deportation am 10. März 1943 erinnertekürzlich eine Veranstaltung in der zweitgrößten bulgarischen StadtPlowdiw. Für die jüdischen Mitbürger setzten sich damals unteranderen sowohl die christlich-orthodoxe Kirche als auch 43Parlamentarier ein, sagt der Vorsitzende der jüdischen Organisation«Shalom», Maxim Benvenisti, in einem Gespräch mit der DeutschenPresse-Agentur dpa in Sofia. Das damalige Kirchenoberhaupt, ExarchStefan, war sogar bereit, den bedrängten Juden die Gotteshäuser alsZufluchtsort zu öffnen.

Die Juden in Bulgarien, darin sind sich Historiker und Politikereinig, verdanken ihre Rettung auch der «ethnischen Toleranz» derBevölkerung. Über Bulgarien führten seit dem Altertum die Wegezwischen Orient und Okzident. Thraker, Römer, Tataren, Türken, Romaund Kreuzritter zogen durch das Land am Schwarzen Meer oder ließensich dort nieder. Im Zentrum Sofias stehen die Synagoge und dieMoschee fast nebeneinander unweit von christlich-orthodoxen Kirchenund einer katholische Kathedrale.

Im damaligen «Großbulgarien» wurden jedoch nicht alle Judengerettet. 11 363 Juden aus den von Bulgarien während des ZweitenWeltkrieges okkupierten und verwalteten Gebieten im heutigenMazedonien, Nordgriechenland und Ostserbien wurden an Nazi-Deutschland ausgeliefert. Ihre Übergabe erfolgte im März 1943 in derbulgarischen Donaustadt Lom. Sie wurden in das KonzentrationslagerTreblinka im von Nazi-Deutschland besetzten Polen transportiert.

Nach Kriegsende es gab es unter der kommunistischen Herrschaftmehrere Auswanderungswellen, heute leben in Bulgarien nur noch rund6000 Juden. In den vergangenen Jahren nahm die Zahl der Bulgarenwieder zu, die sich zu ihrer jüdischen Herkunft bekennen und amjüdischen Leben teilnehmen. Es werden auch wieder mehr Kindergeboren, freut sich Robert Dscherassi, der die religiöse Gemeinschaftder Juden in Bulgarien leitet. In der 1909 errichteten und nunrenovierten prachtvollen Synagoge in Sofia - die größte auf demBalkan - kommen Juden regelmäßig zum Gebet zusammen. Seit zehn Jahrenist auch das rituelle Tauchbad, die «Mikwe», wieder in Betrieb.

Die Restitutionsgesetze nach der Wende von 1989 ermöglichten auchdie Rückgabe jüdischen Besitzes. Zwar meint «Shalom»-Chef Benvenisti,der Antisemitismus habe «keine Wurzeln in den Seelen der Bulgarengefasst». Doch vielen Juden in dem Balkanland sei «heute unwohlangesichts der nationalistischen Parolen der Ataka-Partei», sagtFrances. Diese extrem nationalistische und fremdenfeindliche Parteiwurde rund 15 Jahre nach dem Ende der kommunistischen Ära gegründetund ist in der Volksversammlung in Sofia und auch im EU-Parlamentvertreten. Herausgegeben und frei verkauft werden auch antisemitischeBücher, wie Hitlers «Mein Kampf», ohne dass es Gesetze gibt, die dasverbieten.