Geschichte Geschichte: Tschechische Stadt bedauert deutsche Nachkriegsopfer

Prag/dpa. - Die tschechische Stadt Usti nad Labem (Aussig) besitzt eine reiche Vergangenheit. Die örtliche Burg Schreckensteininspirierte Richard Wagner 1842 zur Oper «Tannhäuser», zudem war dienordböhmische Kommune stets ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt auf demWeg nach Westen. Vertriebene hingegen verknüpfen mit der Stadtschmerzhafte Erinnerungen. Auf der dortigen Elbe-Brücke kam es 1945zu einem der schlimmsten Nachkriegsmassaker an Deutschen. Lange warder Massenmord tabu, jetzt will die Stadt aus diesem historischenSchatten treten. Am 60. Jahrestag der Bluttat an diesem Sonntag wirdAußenminister Cyril Svoboda am Tatort eine Gedenktafel enthüllen.
«Wie ein Blitz» sei die Meldung vom geplanten Versöhnungsschritteingeschlagen, kommentierte das Magazin «Respekt»: «Bisher hat dietschechische Gesellschaft das Trauma der Vertreibung ihrer Mitbürgereher verdrängt.» Sogar Regierungschef Jiri Paroubek war vor kurzemvon Präsident Vaclav Klaus gerügt worden, weil der Sozialdemokratsudetendeutsche Widerstandskämpfer erstmals offiziell würdigen will.Paroubek, kommentierte Klaus, habe «wohl den Verstand verloren».
Am 31. Juli 1945 war es in Usti als Reaktion auf die bis heuteungeklärte Explosion eines Depots zu Übergriffen paramilitärischertschechischer Einheiten auf deutsche Bewohner gekommen. Viele dermindestens 80 Opfer wurden schwer verletzt von der Brücke in die nachSachsen fließende Elbe geworfen, wo später zahlreiche Leichengeborgen wurden. Die Täter wurden nie bestraft. «Die Tafel sollunsere Trauer über unnötige Opfer ausdrücken und zugleich eineWürdigung sein», sagt Oberbürgermeister Petr Gandalovic.
Nicht alle sehen dies so. Es sei eine Unverschämtheit, die Tafelan einer Brücke anzubringen, die nach dem langjährigen PräsidentenEdvard Benes (1884-1948) benannt sei, tobt die Kommunistische Partei.Schließlich habe Benes 1938 vor den Nazis nach London fliehen müssen.Und in Internet-Diskussionsforen wird Angst geschürt: «Heute bekennenwir uns zu dem Massaker, morgen müssen wir wieder Gebiete an dieDeutschen abtreten», warnt ein Teilnehmer. Gandalovic nimmt solcheStimmen ernst. Auch deswegen wird es auf der Tafel nur einenschlichten Satz auf Tschechisch und auf Deutsch geben: «Zum Gedenkenan die Opfer der Gewalt vom 31. Juli 1945».
Usti nad Labem wird die zweite tschechische Stadt nach Brno(Brünn) sein, die einen solchen Schritt unternimmt. Die mährischeMetropole hatte vor vier Jahren den «Todesmarsch» von 20 000Deutschen kurz nach dem Zweiten Weltkrieg bedauert. Gandalovic plantnoch weiteres: Tschechiens früherer Generalkonsul in New York willaußer der Tafel in Usti nad Labem auch ein «Museum der Deutschen inBöhmen» errichten. Schließlich wohnten in der Elbe-Stadt bis 1945rund 80 000 Deutsche, das waren 93 Prozent der Einwohner.
«Wir wollen unseren Nachbarn die Hand zur Versöhnung reichen»,betont Gandalovic, der nach einem erwarteten Wahlsieg seinerkonservativen Partei ODS im kommenden Jahr mit einem Ministeramtrechnen darf. Der örtliche Historiker Vaclav Houfek unterstützt dieIdee des Museums. Neben der wichtigen Forschungsarbeit denkt er dabeiauch praktisch: Eine Dokumentation der Geschichte der drei MillionenVertriebenen würde sicher Touristen aus dem nahen Deutschland insStadtmuseum bringen. «Mit aufgespießten Käfern locken wir heutekeinen mehr an», meint der Tscheche pfiffig.