Geschichte Geschichte: Sprengen, töten, untertauchen
Berlin/MZ. - So eine Beerdigung gibt's nicht alle Tage. Gemäß dem letzten Wunsch des Verstorbenen wird die Urne in die Sowjetfahne mit Hammer, Sichel und Stern gehüllt und feierlich zu Grabe getragen. In einer Todesanzeige würdigt das Zentralorgan der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) den Dahingeschiedenen als "echten Bolschewik". Zu betrauern sei, schreibt die Zeitung "Unsere Zeit", ein "unerschrockener, standhafter Kommunist im Geiste von Ernst Thälmann". So geschehen Ende 1999 in Berlin.
Die wenigen biographischen Angaben über den Toten, einen Genossen namens Harry Schmitt, geboren am 17. September 1919 in Halle / Saale, gestorben am 27. Oktober 1999 in Berlin, haben den Kommunismus-Forscher Prof. Hermann Weber nicht ruhen lassen. Dank aufwändiger Archiv-Studien, unter anderem in der Stasi-Unterlagen-Behörde, steht nunmehr fest: Der mysteriöse Herr Schmitt führte ein konspiratives Doppel-Leben. Er verfügte gleichzeitig über einen Personalausweis der DDR sowie der Bundesrepublik.
In den 70er und 80er Jahren organisierte Schmitt unter strengster Geheimhaltung in der Nähe des brandenburgischen Springsees militärische Übungen für DKP-Mitglieder. Mehrmals pro Jahr probten dann die sorgfältig ausgewählten DKP-Junggenossen aus Deutschland-West in der DDR den Umgang mit Faustfeuerwaffen, Handschellen, Knebelketten und Schlagringen, später auch mit Chemikalien. Im Fall eines Krieges zwischen DDR und BRD sollten sie nach Partisanen-Art aktiv werden: sprengen, töten, untertauchen. Ziel: den Vormarsch der DDR-Armee auf dem Territorium der Bundesrepublik erleichtern helfen.
Laut Recherchen Webers, die im demnächst erscheinenden "Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung" nachzulesen sind, bediente sich Schmitt des Tarnnamens "Ralf Forster". Die Militär-Übungen der "Gruppe Ralf Forster" waren Stasi-Chef Erich Mielke viele Millionen wert. Allein für den Zeitraum von 1981 bis 1985 bekam "Forster" 10,8 Millionen West-Mark persönlich ausgezahlt.
Den erhalten gebliebenen Stasi-Quellen zufolge hat die DKP bereits kurz nach ihrer Gründung (1968) mit der militärischen Geheim-Ausbildung für politisch besonders zuverlässige Mitglieder begonnen - zunächst in Ungarn und der Tschechoslowakei. Im Zuge der beginnenden Ostpolitik des damaligen Kanzlers Willy Brandt (SPD) war es dann den kommunistischen Machthabern in Budapest und Prag jedoch zu heikel, auf ihrem Staatsgebiet weiterhin DKP-Kader militärisch zu schulen. Daraufhin sprang die DDR - genauer: die Stasi - hilfreich als "Gastgeber" ein.
Schmitt war als Bundesbürger in Frankfurt (Main) gemeldet. Zeitgleich war er aber auch unter seinem Tarnnamen "Forster" mit einem Schein-Arbeitsverhältnis beim DDR-Ministerrat registriert. Für sein Pendeln zwischen Ost und West galten besondere konspirative Regeln: Durch Aufsuchen einer bestimmten Toilette innerhalb der "Grenzübergangsstelle Bahnhof Friedrichstraße" in Berlin war es ihm möglich, unerkannt ohne Ausstellen des sonst üblichen Passierscheins und ohne Stempel im Pass die Seiten zu wechseln: Hinter jenem "stillen Örtchen" öffnete sich nämlich eine Geheim-Tür.
Für Kommunismus-Forscher Weber, bis zum Erreichen des Ruhestands an der Universität Mannheim tätig, mutet der Fall Schmitt auch irgendwie tragisch-grotesk an: Harry Schmitt war der Sohn des KPD-Reichstagsabgeordneten Heinrich Schmitt, der nach 1945 für kurze Zeit als Staatsminister in Bayern amtierte, dann aber enttäuscht die Partei verließ. Von Harry Schmitt alias Ralf Forster ist zudem bekannt, dass er einen Teil seiner Jugend in der Sowjetunion verbrachte und als Soldat der Sowjet-Armee 1945 nach Deutschland zurückkehrte.
Trotz Webers detailreicher Enthüllungsgeschichte bleiben etliche Fragen offen. Zum Beispiel: Was wussten einst die westlichen Geheimdienste über die Militär-Übungen? Haben die Schützlinge des Genossen Schmitt ihre teuer erlernten Fähigkeiten zum Töten womöglich schon mal in der Praxis angewandt? Und: Wie viele DKP-Mitglieder haben insgesamt bis 1989 an den Militär-Übungen im Osten teilgenommen? Vermutlich waren es Hunderte.