Geschichte Geschichte: Ruinen von Hitlers Bunker sind Ketrzyns Touristenattraktion
Warschau/Ketrzyn/dpa. - Nicht Gras, sondern Wald ist über dieRuinen der «Wolfsschanze» gewachsen. In den masurischen Wäldern,zwischen Fliegensurren und Vogelgezwitscher, lässt sich kaum nocherahnen, dass hier am 20. Juli 1944 die deutsche Geschichte und dieGeschichte des Zweiten Weltkriegs beinahe einen Wendepunkt genommenhätten. Moos und Sträucher überwuchern die Trümmer der riesigenAnlage, die die Deutschen im Januar 1945 bei ihrem Abzug aus dem«Führerhauptquartier» in die Luft gejagt haben. Teilweise stehen nochdie Außenmauern der Bunker, sechs bis acht Meter dick.
Jerzy Skrzykowski lebt mit und von der düsteren Geschichte der«Wolfsschanze», die für die polnische Kleinstadt Ketrzyn (Rastenburg)zur Touristenattraktion geworden ist. Seit 25 Jahren führt erTouristen über das nahe gelegene 2,5 Quadratkilometer große Geländeim dichten Eichenwald. Jedes Jahr besuchen etwa 230 000 Menschen dasgrößte Hauptquartier Adolf Hitlers, gut die Hälfte von ihnen Polen.Unter den ausländischen Besuchern machen die Deutschen mit mehr als30 Prozent aller Touristen die größte Gruppe aus.
Wer erwartet, beim Besuch an historischem Ort genau nachvollziehenzu können, wie das Attentat auf Hitler am 20. Juli verlief, wirdenttäuscht. Nicht nur die Bunker wurden gesprengt, auch von denEinrichtungen und Unterkünften der «Wolfsschanze» blieb nicht vielerhalten. «Nach dem Krieg ist alles, was sich noch verwerten ließ,abmontiert und weggeschleppt worden», sagt Skrzykowski. Nach derSprengung von rund 5000 Minen auf dem Gelände suchten Schatzsuchernach dem angeblich hier versteckten Nazi-Gold.
Skrzykoswski berichtet den Besuchern vom Widerstand im DrittenReich, vom Attentäter Claus Schenk von Stauffenberg und der Bombe,die Hitler nur leicht verletzte. Eine Erkundung der Bunker erspart ervor allem den deutschen Besuchern, meist älteren Menschen, die inorganisierten Bustouren zur «Wolfsschanze» kommen. «Das Gelände istja sehr unwegsam, und die alten Leute sind nicht mehr gut genug zuFuß, um durch Trümmer zu klettern.»
Am 60. Jahrestag des Attentats vom 20. Juli soll eine neueGedenktafel enthüllt werden, um an Oberst von Stauffenberg und seineMitverschwörer zu erinnern. Der Stein steht bereits an der Stelle, ander nach jüngsten Forschungserkenntnissen Stauffenbergs Aktentaschemit der Bombe stand. Völlig unbestritten ist der deutscheWiderstandskämpfer in Polen aber nicht, sagt Skrzykowski. «Er warschließlich Teil der Besatzungsmacht, unter der die Polen so litten.Und in seinen Briefen zu Beginn des Krieges schrieb er nicht so gutüber die Polen.»
Die Sorge, die «Wolfsschanze» könne zum «Wallfahrtsort» fürNeonazis werden, bewahrheitete sich nicht. «Allerdings gibt es ineinigen Geschäften in der Umgebung ein paar sehr seltsame Souvenirs»,berichtet Skrzykowski von der «Wolfsschanze» als Plastikmodell. Erversucht, den Besuchern stattdessen nahe zu bringen, was hättegeschehen können, wenn Stauffenberg Erfolg gehabt hätte: «Wenn derKrieg zu diesem Zeitpunkt beendet worden wäre, wären allein vierMillionen Deutsche nicht ums Leben gekommen.»