Geschichte Geschichte: Auf den RAF-Terror folgte das erste Anti-Terrorgesetz
Berlin/dpa. - Die Terroristenwaren Kinder der eigenen, der westdeutschen Gesellschaft. DreiJahrzehnte ist es jetzt her, dass die Rote Armee Fraktion (RAF) denStaat herausforderte, höchste Repräsentanten entführte und ermordete.Die Anfänge und die Ursachen reichen 40 Jahre zurück.
Zwei Brandanschläge auf Frankfurter Kaufhäuser im April 1968stehen am Anfang der RAF-Geschichte. Im November 1970 reagiert diePolitik. Der Bundestag verabschiedet ein Sofortprogramm, verstärktdas Bundeskriminalamt (BKA), erweitert dessen Kompetenzen. In denfolgenden Jahren wird das BKA massiv aufgerüstet - personell undtechnisch. Dafür steht vor allem ein Name: Horst Herold, der am 1.September 1971 Chef der Wiesbadener Bundesbehörde wird.
«Mister Computer» erkennt die neuen technischen Möglichkeiten,baut die zentrale Datenbank INPOL auf. Die elektronische Aufbereitungmacht eine bis dahin unbekannte Rasterfahndung möglich, bei der großeDatenbestände nach bestimmten Merkmalen durchgekämmt werden. ImSeptember 1972 wird auf Anordnung des damaligen BundesinnenministersHans-Dietrich Genscher (FDP) die Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9)geschaffen, eine Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes.
Noch bevor der RAF-Terror eskaliert, wappnet sich der Staat weitergegen tatsächliche oder auch nur vermutete Feinde. Im Januar 1972fassen Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und Regierungschefs derBundesländer den sogenannten Extremistenbeschluss: Beamter kann nurnoch werden, wer die Gewähr bietet, jederzeit für die freiheitlichdemokratische Grundordnung einzutreten. Der Verfassungsschutz erhältneue Befugnisse. Er darf auch politisch motivierte Bestrebungenbeobachten.
Es folgen massive Verschärfungen des Strafrechts. Im Juni 1976setzen SPD und FDP im Bundestag das Anti-Terrorgesetz durch. InsStrafgesetzbuch wird der Paragraf 129a eingefügt. Fortan ist die«Bildung einer terroristischen Vereinigung» eine Straftat. Bislanggab es nur eine Handhabe gegen kriminelle Vereinigungen (§ 129). Wieoft der neue Paragraf angewandt wurde, kann keiner sagen, nicht dasBundesjustizministerium und auch die Bundesanwaltschaft nicht.
Schon Ende 1974 wird der Bundestag tätig, als Baader-Meinhof-Verteidiger der Zusammenarbeit mit Terroristen verdächtigt werden.Verteidiger können vom Verfahren ausgeschlossen werden, wenn sie«dringend oder hinreichend» verdächtig sind, an den Straftaten ihrerMandanten beteiligt zu sein. Im folgenden RAF-Prozess in Stuttgart-Stammheim, dem zu einem Hochsicherheitstrakt ausgebauten Gericht,trifft die Vorschrift die Anwälte Klaus Croissant, Kurt Groenewoldund Hans-Christian Ströbele, den heutigen Grünen-Politiker.
In einem Eilverfahren beschließt der Bundestag im September 1977,während Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer Geisel der RAFist, eine weitere Verschärfung. Gegen Häftlinge, die im Zusammenhangmit einem Verfahren gegen terroristische Vereinigungen einsitzen,kann eine «Kontaktsperre» verhängt werden. 30 Tage lang dürfen sieweder miteinander noch mit ihren Anwälten in Kontakt treten. Wie ofteine Kontaktsperre verhängt wurde, kann auch keiner sagen.
Angesichts der RAF-Terrors zeigt der Staat unerbittliche Härte.Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) verlangt, bis an die Grenzen desRechtsstaats zu gehen. Bezeichnend für die damalige Atmosphäre isteine nie bestätigte Meldung: Nachdem die RAF Schleyer entführt hat,habe der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß im Krisenstab angeblichvorgeschlagen, jeden Tag einen der inhaftierten Terroristen zuerschießen, die mit der Geiselnahme freigepresst werden sollen.
Jahre nach dem «Deutschen Herbst» beschließt der Bundestag, dassHungerstreikende, die noch bei Bewusstsein sind, nicht mehrzwangsernährt werden müssen. Ende 1986 folgt ein neues Gesetz zurBekämpfung des Terrorismus. Er verschärft die Strafen für Gründer,Mitglieder, Rädelsführer und Hintermänner terroristischerVereinigungen. Die von der Union gewollte, aber vom RegierungspartnerFDP zunächst blockierte Kronzeugenregelung folgt schließlich im April1989. Unter Rot-Grün läuft sie aus. Die große Koalition führt siejetzt modifiziert wieder ein.