Geschichte Geschichte: 1956 kamen erste Häftlinge in den Bautzener Stasi-Knast

Bautzen/dpa. - Am Ende eines jeden Tages fällt die große graueMetalltür mit einem schweren Schlag ins Schloss. Der Hall, der sichdann über der Gedenkstätte Bautzen ausbreitet, ist das Geräusch, dasbis 1989 jedem einzelnen der mehr als 3000 Häftlinge des ehemaligenStasi-Gefängnisses in der ostsächsischen Stadt signalisierte: Hierbist du verloren, hier herrscht der Staat im Staat - dieStaatssicherheit.
Vor 50 Jahren, im August 1956, wurden die ersten 124 Häftlinge indas Gebäude unweit der Bautzener Altstadt gebracht. In dem eherüberschaubaren Gefängnis galten eigene Regeln. «Es war quasi eineigenes Gefängnis nur für die Stasi, die direkten Zugriff auf dieGefangenen hatte», erzählt Susanne Hattig, wissenschaftlicheMitarbeiterin in der 1995 eingerichteten Gedenkstätte.
Dann deutet sie auf eine graue Stahltür in der Gefängnismauer, einDurchgang zu einem Nebengebäude. «Das Haus war damals dieKreisdienststelle der Stasi. Durch die Tür konnten die Stasi-Leutedas Gefängnis betreten und verlassen, ohne dass die Wachleute davonNotiz nahmen», sagt sie. Direkter Zugriff hieß: Verhöre, Schikanen,Erniedrigungen.
Der Knast war für die DDR ideal gelegen. «Er war schon seit 1906immer Gefängnis gewesen, lag unauffällig mitten in der Stadt und warweit weg von der Westgrenze», zählt die 41-Jährige auf. Die Anwohnerhatten sich schon lange an den «Nachbarn» gewöhnt, dessenVisitenkarte eine hohe Mauer, elektrische Drähte und vergitterteFenster waren. Die Insassen waren zu etwa 80 Prozent «Politische»,darunter Persönlichkeiten wie die Schriftsteller Walter Janka undErich Loest oder der Philosoph Rudolf Bahro.
Für Bahro, der nach dem Abdruck seines Buches «DieAlternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus» imNachrichtenmagazin «Der Spiegel» im August 1977 verhaftet und wegenangeblichen Geheimnisverrats zu acht Jahren Gefängnis verurteiltwurde, ließen die Stasi-Leute ihre perfide Fantasie spielen. «Für ihnwurde extra ein Einzeltrakt eingerichtet», sagt Hattig. Isolation fürden Dissidenten.
Auch in technischer Hinsicht wollten die Offiziere derStaatssicherheit nichts unversucht lassen. In Zelle 30 zeigt Hattigauf zwei kleine, leistungsstarke Mikrofone, die über der Tür untereiner dünnen Putzschicht freigelegt sind. «Verwanzt», sagt sie kurz.Was so an die Ohren der Lauscher gelangte, Gespräche oder auchSelbstgespräche, wurde oft als Druckmittel gegen Häftlinge benutzt,während und auch nach der Haft.
Die Arbeit der Staatssicherheit entlarvt einen unsicheren Staat.Der einzige gelungene Fluchtversuch von Dieter Hötger im November1967 zeugt davon. «Als er neun Tage später von der Polizei erwischtwurde, kam eine riesige Ermittlung über eventuelle Komplizen zuStande», sagt Hattig. Die Tat eines Einzelnen konnte es in den Augender Stasi nicht sein.
Ein Detail zeigt, dass sich auch die Untergebenen von Stasi-ChefErich Mielke für den Ernstfall ein Hintertürchen offen ließen, unddas im wahrsten Sinn des Wortes. In einem ehemaligen Verhörraum,dessen alter Schallschutz immer noch funktioniert, ist es zu finden.Dort hat das Gitter hinter dem Fenster ein verschließbares Türchen,das einzige dieser Art im ganzen Gefängnis. Es ist unklar, ob dieser«Fluchtweg» je einem Stasi-Bediensteten gedient hat.