Geheimdienst Geheimdienst: West-Berliner Polizisten spitzelten für die Stasi

Berlin/dapd. - AlleUnterwanderungsversuche seien gescheitert, sagte derWissenschaftliche Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat an derFreien Universität (FU) Berlin, Klaus Schroeder, am Mittwoch bei derVorstellung der Untersuchung «Das Ministerium für Staatssicherheitder DDR und die West-Berliner Polizei». Der Fall des West-BerlinerPolizisten Karl-Heinz Kurras sei ein «Einzelerfolg» gewesen.
Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch hatte nach anfänglichemWiderstand die Studie in Auftrag gegeben, nachdem die Tätigkeit desWest-Berliner Polizisten als Inoffizieller Mitarbeiter im Mai 2009durch einen Zufallsfund öffentlich wurde. Kurras hatte 1967 inBerlin den Studenten Benno Ohnesorg erschossen. Der Tod des jungenMannes gilt als Auslöser für die Radikalisierung der westdeutschenStudentenbewegung. Diese führte zur Gründung der RAF und gipfelte imDeutschen Herbst 1977.
Einen direkten Zusammenhang zwischen der Stasi-Tätigkeit und demtödlichen Schuss auf Ohnesorg am Rande einer Demonstration gegen denpersischen Schah sehen die Experten nicht. Kurras habe sich aberdurchaus sicher sein können, dass die «Verschärfung der Situation»in der westdeutschen Studentenschaft durch Ohnesorgs Tod aus Sichtder SED-Führung interessant war, sagte Projektleiter Jochen Staadt.Der Polizist war später vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung inmehreren Prozessen freigesprochen worden. Die Stasi beendete nachdem Tod Ohnesorgs die Zusammenarbeit, die 1955 begonnen hatte.
Zwtl: Forscher werfen Kurras Gefährdung von Flüchtlingen vor
Nach den Worten des Projektleiters war der von Kurras währendseiner Spitzeltätigkeit angerichtete Schaden «enorm». Er habe alsStaatsschützer unter anderem Flüchtlinge aus der DDR befragt und dieInformationen weitergegeben. Dies sei eine «Personengefährdungschwersten Ausmaßes» gewesen, da es zu dieser Zeit noch Versuche desSED-Regimes gegeben habe, Flüchtlingen nach dem Leben zu trachten.
Die Studie des Forschungsverbundes umfasst den Zeitraum von 1950bis 1972. Sie ergab, dass das durch MfS-Informanten gesammelteDetailwissen enorm war, es aber angesichts der Größe und Strukturder Institution Polizei «lückenhaft» blieb. Durchschnittlich hättenpro Jahr zwischen 10 und 20 Menschen aus der Polizei und derenUmfeld für die Stasi spioniert, sagte Schroeder. Es habe aber keinenEinfluss auf Entscheidungen der Behörde gegeben. Darüber hinaus seies dem MfS nicht gelungen, in die Leitungsebene der West-BerlinerPolizei einzudringen.
Die Stoßrichtung des MfS sei vor allen auf eine erwartetemilitärische Auseinandersetzung gerichtet gewesen, erläuterteStaadt. Für den Fall einer «Stunde x» habe die Stasi beispielsweiseversucht, alles über die Stationierung von Polizisten undWaffendepots herauszubekommen. Dafür habe die Behörde eine «Unmassevon Fotos» der polizeilichen Einrichtungen gesammelt. Die Forscherhätten dies «Stasi-Street-View» genannt, führte der Projektleiteran. Ziel sei es gewesen, verwundbare Stellen im Falle einermilitärischen Auseinandersetzung zu sammeln. Auch hätten die Spitzelbeispielsweise Informationen über Zimmerbelegungen, Telefonnummernoder private Adressen der Polizisten übermittelt.
Zwtl: Spitzel wurden mit West-Devisen bezahlt
Bei den Informanten habe es sich meist um «kleine Polizeibeamte»gehandelt, sagte der Projektleiter. Die frühen Spitzel seien«durchgehend Überzeugungstäter gewesen». Spätestens nach dem Bau derMauer 1961 seien die meisten aber über «finanzielle Anreize»gewonnen worden. Schroeder sagte, die Beamten seien mit «Tausendenvon D-Mark» versorgt worden.
Von den in der Studie angeführten Spitzeln sind dem Leiter desForschungsverbunds zufolge rund die Hälfte namentlich bekannt.Seinen Angaben nach ist keiner von ihnen mehr im Dienst. Die meistenseien mittlerweile tot. Glietsch kündigte an, die Studie zur Prüfungan die Staatsanwaltschaft zu übergeben. Er gehe aber davon aus, dassder überwiegende Teil der Fälle verjährt ist.
Um eine vollständige Aufklärung der MfS-Tätigkeit gegen dieWest-Berliner Polizei zu erreichen, erteilte der BerlinerPolizeipräsident dem Forschungsverbund am Mittwoch einenErgänzungsauftrag. Nun soll auch die restliche Zeit bis zur Wendeaufgearbeitet werden.
