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Frankreich Frankreich: Saubermann gegen volksnahen Landesvater

Von Birthe Blechschmidt 18.04.2002, 13:55
Das französische Regierungssystem
Das französische Regierungssystem dpa

Paris/dpa. - Im affärengeschüttelten Frankreich gilt Jospin als Tugendwächter.Der sachlich-nüchterne Wirtschaftsprofessor taugt wenig zumVolkstribun. «Ein Mann ohne Charisma», sagen nicht nur seinepolitischen Gegner über den 64-jährigen, der aus einerprotestantischen Lehrerfamilie stammt und unter seinem ZiehvaterFrançois Mitterrand in den achtziger Jahren eine steileParteikarriere einschlug. Doch die Mehrheit der Franzosen schätztJospin als aufrecht, bescheiden und glaubwürdig ein.

Seinen konservativen Gegenspieler Chirac haben dagegen die Affärenum schwarze Kassen und illegale Parteispenden aus seiner Zeit alsPariser Bürgermeister eingeholt. Seine neogaullistische RPR-Parteisoll Schmiergelder kassiert haben, wofür es auch schwerwiegendeIndizien gibt. Die Justiz prüft, ob er als damaliger ParteichefMillionen für Privatreisen abzweigte.

Der heute 69-jährige Katholik, der im November 70 Jahre alt wird,ist jedoch ein politisches Urgewächs, der Affären-Vorwürfe souveränund mit staatsmännischer Überlegenheit abschmettert. Zwei Mal (1974bis 1976 und 1986 bis 1988) brachte es Chirac zum Premierminister,etliche Male zum Minister. 18 Jahre lang war er Bürgermeister vonParis, was ihm letztlich als Sprungbrett in das höchste Staatsamtdiente. Nach zwei Niederlagen gegen Mitterrand ließ er 1995 seinenKontrahenten Lionel Jospin hinter sich und schaffte den Sprung in denPariser Elysée-Palast, um sogleich die halbe Welt gegen sichaufzubringen, als er Atomtests im Pazifik beschloss.

Dem gewieften Taktiker unterlief 1997 ein schwerer Fehler, als ervorzeitig das Parlament auflöste und damit Jospin den Weg freimachte.Obwohl der Premierminister innenpolitisch die Initiative übernahm undmit seiner pragmatisch-sozialen Politik eine solide Bilanz vorweisenkann, blieb sein Profil blass. Als Erneuerer sehen ihn die Umfragennicht. Auch kratzte das Eingeständnis seiner trotzkistischenVergangenheit an seinem Image. Um seinem Auftreten die Strenge zunehmen, wurden ihm eine randlose Brille und elegante Maßanzügeverpasst. Seine Frau und engste Beraterin, die Philosophin SylvianeAgacinski, versucht, durch Anekdoten aus ihrem Privatleben, Farbe undLockerheit beizusteuern. «Jospin kann gut kochen und ist sehrmenschlich - er lässt überall seine Socken herumliegen», sagte sie imFernsehen.

Chirac braucht die Volksnähe nicht anzutrainieren. Er stürzt sichin jede Menschenmenge - seine Affären haben seiner Beliebtheit keinenAbbruch getan, besonders nicht bei den Frauen. Frauen sind auch inder Politik seine wichtigsten Mitarbeiterinnen. Seine Tochter Claudeleitet die Öffentlichkeitsarbeit ihres Vaters. Mit tatkräftigerUnterstützung seiner Ehefrau Bernadette verkörpern die Chiracs dasBild konservativer Familientraditionen. Ob schließlich der selbsterklärte Enkel de Gaulles die Nase bei den Präsidentschaftswahlenwieder vorn haben wird oder sein Rivale Jospin, ist angesichts einesKopf-an-Kopf-Rennens in den Umfragen noch völlig offen.

Amtsinhaber Jacques Chirac
Amtsinhaber Jacques Chirac
AFP