Frankreich Frankreich: Präsident Chirac mit Brille und ohne Vision
Paris/dpa. - Jacques Chirac warwährend der schlimmsten Randalenächte nahezu ganz von der politischenBühne verschwunden. Aber was der 72-Jährige ihnen dann am Montagabendaus seinem Elysée-Palast mit der Trikolore im Hintergrund zu sagenhatte, enttäuschte viele seiner Landsleute.
Der Mann, der 1995 erfolgreich Wahlkampf gegen den «sozialenBruch» und 2002 zur «Unsicherheit» gemacht hatte, verteile als«kärgliche Bilanz» nur «Placebos», kommentierte die linksliberaleZeitung «Libération». Ein wenig Zuckerbrot in Form einesZivildienstangebots und weiterhin das Notstandsrecht als Peitsche, soder Tenor der Reaktionen auf die Ansprache.
Als der Staatschef 13 Minuten lang ernst und paternalistisch zuseinen Franzosen sprach, stach für diese zunächst einmal nur einoptisches Detail heraus. Chirac hatte auf die Kontaktlinsenverzichtet und dafür eine Brille mit dunklem Gestell aufgesetzt.«Haben ihm das etwa seine Berater nahe gelegt, um ihn jünger zumachen?», so spottete die Boulevardzeitung «France-Soir» über dasAccessoire im Stil der 70er Jahre, das ihn doch nur älter aussehenlasse: «Ein Look so wie seine Rede». Hämisch sahen andere dahintereine «politische Kurzsichtigkeit» und fragten sich, warum Chirac sichjetzt wieder so zeige wie in seiner Zeit als Pariser Bürgermeister.
Ein verlängertes Notstandsrecht, das von der Opposition abgelehntwird, ein Zivildienstangebot für 50 000 Jugendliche als Jobeinstiegund ein verstärkter Kampf gegen die illegale Einwanderung - im Kernhat der seit 1995 amtierende Chirac den Jugendlichen wohl kaum einenwirklichen Ausgang aus ihrer «Sinn- und Orientierungskrise» gewiesen.Alle sind «Töchter und Söhne der Republik». Und: «Der Respekt vor demGesetz steht auf dem Spiel.» «Diskriminierung ist Gift für unsereGesellschaft, und tief greifende Veränderungen sind nur durch dasEngagement jedes Einzelnen möglich», verharrte er im Allgemeinen.
Von Chirac als «Phantom im Elysée-Palast» war schon die Rede, vomverblassten Stern des in der Welt geschätzten Anti-Irakkrieg-Gegners,der die heikelste Krise seiner Amtszeit völlig seinem PremierministerDominique de Villepin überlasse. Wenn Polit-Magazine jetzt allerdingsschreiben, «die Ära nach Chirac» habe begonnen, dann wiederholen siesich. Denn so hieß es schon, als die Franzosen am 29. Mai die EU-Verfassung spektakulär verwarfen, und der knapp 73-Jährige dann imSpätsommer offensichtlich einen leichten Schlaganfall erlitt. Dasbrennende Problem der sozialen Unrast in den «Cités» zu lösen, bleibtderweil als schwierige Aufgabe auf dem Tisch der Regierung Villepin.