Frankreich Frankreich: EU-Verfassung wurde mit deutlicher Mehrheit abgelehnt
Paris/Berlin/Brüssel/dpa. - Präsident Jacques Chirac, der das Referendum angesetzt hatte,sagte in einer kurzen Ansprache, das Nein der Franzosen bringe«unweigerlich ein schwieriges Umfeld für die Verteidigung unsererInteressen in Europa», wobei Paris aber seinen Platz in der EUbehalte. Für die kommenden Tage, kündigte er «neuen und starkenImpuls» an, was als Regierungsumbildung gedeutet wird.
Der Vize-Präsident der EU-Kommission Günter Verheugen sieht nachdem Scheitern der EU-Verfassung in Frankreich keinen Grund, denVertragstext zu ändern. «Das Beste ist, man bleibt bei dem, was manvereinbart hat», sagte Verheugen am Sonntagabend in den ARD-«Tagesthemen». Man werde den Ratifizierungsprozess in der gesamten EUabwarten und dann Ende nächsten Jahres Bilanz ziehen. «Und dannmüssen die, die nicht ratifiziert haben, sagen, wie es weitergeht.»Führende EU-Parlamentarier wie der Deutsche Martin Schulz sprachensich gegen Resignation und für eine Weiterführung desRatifizierungsprozesses aus.
Alle Umfragen der vergangenen Wochen hatten einen deutlichen Siegder Verfassungsgegner bereits vorausgesagt. Verfassungsgegner ausallen Lagern bejubelten ihren Sieg und zogen in Paris zum Bastille-Platz, wo traditionell Wahlerfolge gefeiert werden.
Der EU-Verfassung müssen alle Staaten zustimmen, damit sie inKraft treten kann. Frankreich hat als 10. von 25 EU-Ländern über dieEU-Verfassung entschieden. Die neun übrigen Länder, darunterDeutschland am vergangenen Freitag, haben dem Text zugestimmt. Bishergilt als Grundlage der EU-Arbeit der Vertrag von Nizza, mit demMehrheitsentscheidungen im EU-Ministerrat schwerer zu erreichen sindals mit der Verfassung. Die Wahlbeteiligung lag mit etwa 70 bis 70,5Prozent etwas höher als bei dem Referendum über den Vertrag vonMaastricht 1992.
Die leidenschaftlichen Auseinandersetzungen der letzten Wochenhaben die sozialistische Partei in Frankreich tief gespalten und imNein-Lager zu ungewöhnlichen Interessengemeinschaften zwischenRechts- und Linksradikalen geführt.
Für den Fall einer Regierungsumbildung gilt InnenministerDominique de Villepin als Favorit für die Nachfolge des unpopulärenPremierministers Jean-Pierre Raffarin.
Deutsche Politiker bezeichneten das Nein der Franzosen zur EU-Verfassung als Rückschlag. CDU-Vize Christian Wulff sagte: «Ich nehmedas Nein der französischen Bevölkerung mit großem Bedauern, aber auchmit Respekt zur Kenntnis.» Die Staats- und Regierungschefs der EUmüssten nun baldmöglichst nach einer gemeinsamen Lösung suchen.
FDP-Chef Guido Westerwelle sagte in der ARD-Sendung «SabineChristiansen»: «Das ist ein ganz schwerer Rückschlag für unserdeutsches Ziel, die europäische Einigung voranzubringen.»
Der Ausgang des EU-Referendums in Frankreich hat nach Einschätzungdes türkischen Außenministers Abdullah Gül keinerlei Auswirkung aufden EU-Beitrittsprozess der Türkei. Die EU habe einstimmigbeschlossen, die Verhandlungen mit der Türkei am 3. Oktoberaufzunehmen. Tschechiens Regierungschef Jiri Paroubek nannte dasfranzösische Nein «bedauerlich», es sei aber «kein wirkliches Drama»,weil seiner Meinung der Ratifizierungsprozess nur «um einige Jahreverzögert» werde.