Erste Auslandsansprache Frank-Walter Steinmeier: Bundespräsident hält erste Auslandsansprache in Straßburg

Berlin - Direkt vor den stehenden Ovationen in vielen Fraktionen des EU-Parlaments, bevor etliche Abgeordnete aus den 28 Mitgliedsländern sich gerührt zeigen, andere aber mit betont versteinerter Mienen sitzen bleiben, direkt vor dem Ende seiner ersten Auslandsansprache als Bundespräsident, wechselt Frank-Walter Steinmeier die Sprache.
Die letzten beiden Sätze spricht er auf Englisch in den Straßburger Plenarsaal. Sie soll dort im Originalton ankommen, wo die europäische Idee schon nicht mehr auf der Kippe steht, sondern unterlegen ist, vorerst. Er bringe die Botschaft aus seinem Land, sagt Steinmeier auf Englisch, dass Deutschland Europa weiterhin wolle: Die Deutschen wollen ein besseres Europa bauen, und sie wollen ein europäisches Deutschland.
Unruhe aus den rechten Fraktionen
Klatschend erhebt sich da die Mehrheit der 751 Europa-Abgeordneten; schon während Steinmeiers Rede gab es immer wieder Applaus, andere auch ablehnende Unruhe aus den rechten Fraktionen. Das Signal, das er als neuer Bundespräsident damit senden wollte, nach seiner ersten Auslandsreise nach Paris, die erste große Rede vor den Volksvertretern des geeinten Europas zu halten, war überdeutlich.
Steinmeier spricht es aber noch einmal aus: „In Zeiten von wachsenden Fliehkräften und von lärmenden Untergangspropheten werde ich Partei ergreifen für Europa“, sagt er unter Applaus.
Antrittsreden von Staatsoberhäuptern sind ungewöhnlich im EU-Parlament, wenn noch dazu das deutsche kommt, ist ihm die Aufmerksamkeit sicher. Steinmeier nutzt sie, um vor allem mit den Nationalisten im Westen ins Gericht zu gehen – und nennt sie fast mit Namen. Auch das ist ungewöhnlich.
Steinmeier äußert sich zum Brexit
Aber am nächsten Tag soll sich das Parlament mit dem Brexit befassen, den Steinmeier als Fehler sieht. „Es ist bitter, zum ersten Mal vor diesem Plenum zu sprechen, kurz nachdem ein Mitgliedsland seinen Austritt aus der Europäischen Union eingeleitet hat“, setzt er also gleich zu Beginn an. „Es ist falsch zu sagen, in dieser Welt könne ein europäisches Land allein und ohne die EU seine Stimme hörbar machen oder seine wirtschaftlichen Interessen besser durchsetzen“, sagt er später. So werde Großbritannien allein an Bedeutung verlieren und damit an Souveränität.
Den „Schlechtrednern“ der EU, deren „nationalem Kleingeist“ müsse man europäische Vernunft entgegensetzen: Es sei unverantwortlich, den Menschen vorzugaukeln, Gefahren wie Terrorismus oder Klimawandel mit Mauern und Schlagbäumen bannen zu können. Allerdings werde Europa nicht von selbst stabil bleiben, so Steinmeier: „Der Glaube, dass der Weg der europäischen Einigung unumkehrbar sei, war ein Irrtum.“
Kritik an Ungarns Staatschef Viktor Orban
Vielmehr greife „nicht nur weit westlich und östlich der europäischen Grenzen, sondern leider auch hier bei uns, mitten in Europa“ eine „neue Faszination des Autoritären“ um sich: „Kräfte, die immer mit den ganz einfachen Antworten zur Stelle sind – der starken Hand, den klaren Feindbildern.“ Der Verweis auf Trump, Putin und Erdogan ist deutlich. „Wer demokratische Institutionen und Parlamente als Zeitverschwendung abtut, wer Kompromissbereitschaft zur Schwäche erklärt und vor allem, wer nicht mehr festhält am Unterschied von Fakt und Lüge“, sagt Steinmeier, „der rührt am Grundgerüst der Demokratie.“
Der „entschiedene, gemeinsame Widerspruch als Demokraten“ müsse aber auch gelten, wenn das rechtstaatliche „Fundament im Inneren Europas wackelt“: Also kritisiert Steinmeier selbst offen Ungarns autoritären Staatschef Viktor Orban, weil in Budapest die US-finanzierte Central European University geschlossen werden soll.
Steinmeier versucht zu vermitteln
Doch der alte Steinmeier, der um Annäherung bemühte Diplomat, ist auch noch da. Er ruft zur „Einbindung unserer Nachbarn im Osten und im Süden“ auf; dieser Verweis auf Putin und Erdogan erhält zögerlicheren Applaus. Die USA bezeichnet er als „unseren wichtigsten Verbündeten“. Trumps Unterstellung, die EU sei „ein Mittel zum Zweck für Deutschland“ sei aber „mindestens ein Missverständnis“.
Vielmehr sehe sich Deutschland als größtes EU-Land in besonderer Verantwortung: „Wir Deutsche wollen die Europäische Union zusammenhalten.“, sagt der frühere Außenminister. „Aber wir wissen auch um die Grenzen unserer Möglichkeiten.“
Hoffnung schöpft Steinmeier offenbar nicht nur daraus, dass sich die EU auch bei früheren Rückschlägen immer wieder aufgerappelt hat. Sondern auch daraus, dass sich immer wieder Europäer fänden mit „Leidenschaft fürs Komplizierte, für die Mühen der Demokratie“ wie im Parlament – aber, mit Blick auf die wachsende Pro-EU-Bewegung „Pulse Of Europe“ - inzwischen auch auf den Straßen der europäischen Metropolen.