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Flüchtlingspolitik Flüchtlingspolitik: Was es für Merkel bedeutet, wenn der Gipfel scheitert

Von Jochen Arntz 16.02.2016, 17:30
Für Kanzlerin Angela Merkel könnte der EU-Gipfel ab Donnerstag wegweisend sein.
Für Kanzlerin Angela Merkel könnte der EU-Gipfel ab Donnerstag wegweisend sein. AP

Berlin - Für die Kanzlerin ist der EU-Gipfel, der am Donnerstag in Brüssel beginnt, auch ein Gradmesser für das Vertrauen in  ihre Flüchtlingspolitik. Zwei Szenarien sind möglich:

 

Szenario 1: Die Kanzlerin erwirkt eine wirkliche Lastenverteilung

 

Innenpolitik:

Das ist die unwahrscheinlichere Variante, da sich nicht nur viele osteuropäische Länder, sondern auch Staaten wie Frankreich einer europäischen Lösung verweigern. Sollte es Merkel aber gelingen, zumindest positive Absichtserklärungen in Brüssel zu bekommen, die besagen, dass eine hinreichend große Zahl von „willigen“ Ländern mit Deutschland die Verteilung der Flüchtlinge koordinieren wird - dann könnte sie das als Erfolg verkaufen. Das wird ihr innenpolitisch aber nur begrenzt helfen, da sich die CSU von solchen Beschlüssen kaum beeindrucken lassen wird, und es sich auch nur um die Ankündigung einer Lösung und noch nicht um eine Lösung handelt.

 

Dennoch wäre Merkel wieder in der Offensive, könnte in ihrer Zwischenbilanz zur Flüchtlingspolitik positive Nachrichten verbreiten. Innerhalb der CDU, würde die Kritik wahrscheinlich etwas leiser werden. Die CSU würde ihre Verfassungsklage gegen Merkels Politik wohl bis nach den Landtagswahlen Mitte März in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt zurückstellen. Aber das ist der Punkt: Auch ein positives Signal aus Brüssel dürfte Merkel keinen positiven Effekt bei den Landtagswahlen bringen. Die AfD wird populär bleiben, da sie einfache Lösungen verspricht.

 

Vielleicht wird es Merkel gelingen, vor den Wahlen niedrigere Flüchtlingszahlen für die ersten Monate des Jahres als Erfolg des Gipfels zu verkaufen -  wenn das Wetter im Mittelmeerraum wieder besser wird, werden die Flüchtlingszahlen aber wieder steigen. Und das wird zeitlich wahrscheinlich mit den Wahlen zusammenfallen. Der Ausgang der Landtagswahlen wird daher Merkels politische Zukunft kurzfristig stärker bestimmen, als die Frage, ob sie in Brüssel Verbündete findet. Mittel- und langfristig wird sie darauf setzen, dass ihre Politik – europäische Solidarität, Bekämpfung der Fluchtursachen – bis Ende 2016 Früchte trägt, dann könnte sie 2017 einen Wahlkampf als weitsichtige Politikerin führen. Heute klingt das nicht wahrscheinlich, aber ohne einen Erfolg in Brüssel wäre es noch unwahrscheinlicher.

Außenpolitik:

Anders als viele Beobachter in Politik und Medien sieht sich Angela Merkel nicht vor einem Showdown. Sie habe gar nicht vor, auf den beiden Gipfeltreffen  am Donnerstag neue Aufnahme-Kontingente für die EU durchzusetzen. Ihr gehe es vielmehr um ein Signal – nämlich  das Bekenntnis der anderen Europäer, die Flüchtlingskrise nicht durch das Senken der Schlagbäume zu lösen, sondern indem man die Türkei zum zentralen Partner macht.  Dazu müsste erstens die EU-Außengrenze zwischen Türkei und Griechenland abgeriegelt werden – und Flüchtlinge, die man auf dem Mittelmeer aufgreift, zurück in die Türkei gebracht werden. Deren Präsident Erdogan hat sich prinzipiell zur Aufnahme dieser Flüchtlinge bereit erklärt – gegen die Zusage, dass die EU sich mit drei Milliarden Euro an den Kosten beteiligt, die laut Türkei deutlich höher liegen.

Merkel sagt, sie werde ihre „ganze Kraft“ dafür einsetzen will,  dass die anderen EU-Mitglieder diesem Modell eine Chance geben. Vorher müsse man gar nicht über konkrete Kontingente verhandeln.

Das Problem ist nur: Die Mitgliedsstaaten wissen, dass das Modell nur gelingt, wenn die EU der Türkei jedes Jahr eine bestimmte Zahl Flüchtlinge abnimmt. Angeblich schwebt der Bundesregierung die Zahl 200.000 bis 300.000 vor, die auf Europa verteilt werden müssten.

Eine gesichtswahrende Lösung wäre erreicht, wenn sich am Donnerstag genug Staaten zu diesem Ansatz bekennen – und die konkrete Verteilung auf spätere Verhandlungen vertagt wird. Deutschland rechnet nach Medienberichten vom Dienstag ohnehin mit 500.000 neuen Flüchtlingen in diesem Jahr, Österreich will trotz verkündeter Obergrenze bis 2019 insgesamt gut 127.000 Menschen aufnehmen. Aus Frankreich wurde  die schroffe Absage von Premier Manuel Valls bereits relativiert.

 

 

Szenario 2: Merkel scheitert. Es kommt zu keiner europäischen Lastenverteilung

Innenpolitik:

 

Das ist die wahrscheinlichere Variante. Aber ein Scheitern wird für die Öffentlichkeit nicht eindeutig aufscheinen, da die Kommunikationsexperten in Berlin den ein oder anderen Teilerfolg präsentieren werden. An diesem Dienstag hat Merkel selbst die Erwartungen an den Gipfel bereits deutlich gedämpft. Auch die Unionsfraktion im Bundestag baut mit solchen Prognosen vor. Das zeigt: Merkel weiß, was auf dem Spiel steht – aber sie hat in der Fraktion zumindest so viel Rückhalt hat, dass man ihre Lage durch überzogene Erwartungen nicht noch verschlechtern will. Doch wird es um die Kanzlerin noch ein wenig einsamer werden, wenn sie ohne Erfolg aus Brüssel zurückkommt – und ihre politischen Freunde und Gegner wissen, was ein Erfolg und was nur Regierungs-PR ist.

Im Falle eines Scheiterns wird Horst Seehofer seine Politik verschärfen, die darauf zielt, auch in der CDU Unruhe zu verbreiten und Merkels politische Basis weiter zu dezimieren. Die Verfassungsklage in Karlsruhe würde mit größerem Getöse geführt werden, und schlechte Ergebnisse der CDU bei den Landtagswahlen offensiver kommentiert werden.

Sollte Julia Klöckner (CDU) in Rheinland-Pfalz Ministerpräsidentin werden, würde die Nachfolgefrage für Merkel dringlicher werden. Auch dann, wenn Merkel versuchen wird, einen Sieg Klöckners, als Sieg ihrer Politik zu interpretieren, der Politik der Kanzlerin. Und: Merkel wird mit großer Sicherheit nicht zurücktreten, nicht die Vertrauensfrage stellen und weiter für ihre Politik einstehen, auch wenn sie in Europa nicht genügend Unterstützer hat. Die Richtlinien der Politik bestimmt sie. Was Merkel nicht bestimmen kann, ist die Überzeugung ihrer Partei, dass sie auch für 2017 noch die richtige Kanzlerkandidatin wäre.

Außenpolitik:

Auch die derzeit konkreteste Alternative zu Angela Merkels „europäisch-türkischen Ansatz“ benannte sie am Dienstag bereits selbst: Halten es die meisten EU-Staaten für aussichtslos, gemeinsam mit der Türkei die Fluchtursachen zu bekämpfen und – künftig sogar mit Hilfe von Nato-Kriegsschiffen  – die EU-Außengrenzen stärker abzuriegeln, dann  bleibt zur Reduzierung der Zuwanderung nur der Plan der Osteuropäer unter ungarischer Führung. Sie haben angekündigt, die griechisch-bulgarisch-mazedonische Grenze zu schließen und so die Balkanroute (Türkei-Griechenland-Mazedonien-Balkan-Ungarn) zu blockieren. Das würde den Zuzug zwar zunächst senken. Es käme aber unweigerlich zu einem Rückstau der Flüchtlinge in Griechenland. Die ohnehin überforderten Griechen könnten nicht mehr, wie es das Schengen-Abkommen vorsieht, für die Sicherheit der EU-Außengrenze sorgen – womit Staaten innerhalb des heutigen Schengen-Raums wieder Grenzkontrollen einführen dürften. Gerade die deutsche Wirtschaft warnt für diesen Fall vor immensen Kosten und Einbußen.

Zudem besteht die Gefahr, dass Griechenland  durch den Stau Zehntausender Asylsuchender ins Chaos rutscht – nicht zuletzt finanziell. Schon bei der jüngsten Griechenland-Krise hatte Russlands Präsident Wladimir Putin sich offensiv als Helfer für die vernachlässigten Griechen ins Spiel gebracht. Käme es tatsächlich dazu, wäre die EU wieder etwas stärker gespalten. Ein gutes Bild gäbe sie beim Scheitern eines Verteilsystems ohnehin nicht ab: Der türkische Präsident Erdogan dürfte bald auch sein Land für überfordert erklären und die Syrer jenseits der Grenze ihrem Schicksal überlassen. An der folgenden humanitären Katastrophe wäre die EU mitschuldig.