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Flüchtlinge in Bautzen und Clausnitz Flüchtlinge in Bautzen und Clausnitz: Gespenstisches aus Sachsen

Von Bernhard Honnigfort 21.02.2016, 15:52
Feuer in einer Flüchtlingsunterkunft in Bautzen.
Feuer in einer Flüchtlingsunterkunft in Bautzen. dpa-Zentralbild

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich spricht nur noch von „Verbrechern“, seinem Innenminister Markus Ulbig gehen langsam die Worte aus, wenn er bewerten soll, wie Kultur und Umgangsformen in Teilen seines Landes langsam aber sicher den Bach runtergehen: „Unerträglich“ sei es, sagte er am Sonntag, „wie offen und respektlos der Hass auf Ausländer zur Schau getragen wird.“

Es sind zwei Ereignisse, die mal wieder für Entsetzen sorgen und ein verheerendes Bild von der Lage und der der Stimmung in Sachsen zeichnen: Im Dorf Clausnitz im Erzgebirge hatte ein tobender Mob am Donnerstagabend stundenlang einen Bus mit ankommenden Flüchtlingen blockiert.

Im ostsächsischen Bautzen standen am Sonntagmorgen Schaulustige neben einem brennenden Hotel, das zum Flüchtlingsheim umgebaut worden war, applaudierten, und schrien „Kanaken“, während andere die Feuerwehr bei der Löscharbeit behinderten.

Erschrecken ist groß

Jetzt ist das Erschrecken in und über Sachsen mal wieder groß. „Wir stehen vor einer großen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, diesen Hass aus den Köpfen der Menschen zu bekommen“, sagte Innenminister Ulbig. An dem Punkt steht Sachsen allerdings schon seit gut eineinhalb Jahren und kommt keinen Schritt voran. In Dresden predigt Pegida montags ungestört Hass auf Flüchtlinge, Politiker und Journalisten. Es wurden schon mehrfach Flüchtlingsheime angegriffen und angezündet, es wurden DRK-Helfer und Feuerwehrleute bedroht und attackiert, Polizisten angegriffen, es wurden Büros von Politikern zerstört, ein Politikerauto gesprengt.

Bus mit Flüchtlingen blockiert

Auch Clausnitz ist nicht neu und kein Einzelfall, auch bei Chemnitz und in Dresden wurden schon mehrfach Flüchtlingsbusse oder die Zugänge zu Heimen blockiert. Anders an Clausnitz ist nur: Es wurde gefilmt und ins Netz gestellt. Außerdem: Der Heimleiter ist AfD-Mitglied.

Bei dem Vorfall am Donnerstag hatte eine rund 100-köpfige Menge den Bus mit 20 Flüchtlingen blockiert, hatte die Leute bedroht und wüst beschimpft: „Verpisst euch!“ Von dem Vorfall gibt es zwei Videoaufnahmen, die im Netz mittlerweile hunderttausendfach angesehen wurden. Bilder, die eine eindeutige Sprache sprechen, wie es Innenminister Ulbig nennt. Knapp dreißig Polizisten schritten während der anderthalb Stunden Belagerung nicht ein und sorgten auch nicht für Abstand zwischen dem Bus und der grölenden Menge.

Statt dessen zeigt ein zweiter Film, wie ein Polizist in Kampfmontur einen Jungen grob aus dem Bus zerrt und ihn ins Heim bringt. Der Junge aus dem ist 14 Jahre alt und stammt aus Tripoli im Libanon. Er ist mit seinem Bruder und seinem Vater seit drei Monaten in Deutschland. Der Bruder ist auf dem Video zu sehen, wie er freiwillig, aber weinend den Bus verlässt.

Anzeige gegen Polizisten

Auch die Aufnahme sorgte für Entsetzen. Sachsens Grünen-Chef Jürgen Kasek hat Anzeige gegen den Polizisten erstattet, der den Flüchtlingsjungen gewaltsam aus dem Bus geholt hatte. Linke-Chef Rico Gebhardt erklärte, weder eine aufgeheizte Stimmung noch die in Sachsen allgegenwärtige Überlastung der chronisch unterbesetzten Polizei entschuldige einen derart rabiaten Umgang mit Kindern. Die Vize-Chefin der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD, Nadia Khalaf, nannte das gewaltsame Vorgehen des Polizisten einen Vorstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention.

Der Chemnitzer Polizeipräsident Uwe Reißmann hatte den Polizeieinsatz vor der Asylunterkunft im Erzgebirge am Samstag verteidigt und sich vor seine Polizisten gestellt. Die eingesetzten Beamten hätten verhältnismäßig gehandelt, sagte er. Auch der Politist, der den Jungen ins Heim zerrte. Das sei „einfacher Zwang“ gewesen. Es müssten keine Konsequenzen gezogen werden. Der Grünen-Landtagsabgeordnete Valentin Lippmann meinte anschließend, Reißmanns Verteidigung des Einsatzes sei der „Inbegriff einer nicht existenten Fehlerkultur in der sächsischen Polizei". (Mit dpa)