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Flüchtlinge Flüchtlinge: Die Wut der armen Leute Roms

Von Regina Kerner 24.11.2014, 17:44

Rom - Von Pantheon, Kolosseum, Trevibrunnen und den anderen Schönheiten Roms liegt der Stadtteil Tor Sapienza eine gefühlte Weltreise entfernt. Mindestens eineinhalb Stunden dauert die Fahrt in Vorortbahnen und überfüllten Bussen bis in die östliche Peripherie. Auf den meisten Rom-Karten ist sie gar nicht aufgeführt. Tor Sapienza, Tor Bella Monaca, La Romanina, San Basilio und wie die vielen Stadtrandviertel heißen, sind auch alles andere als sehenswert.

Die Ewige Stadt kann sehr trostlos sein: unzählige Wohnblöcke in vermüllten Brachen, Billig-Supermärkte, verfallene Lagerhallen, Elendshütten von Sinti und Roma, holprige Ausfallstraßen, über die Schwerverkehr donnert und an denen auch tagsüber afrikanische und südamerikanische Prostituierte und grell geschminkte Transsexuelle in knappen Höschen und hochhackigen Plateauschuhen um Kunden werben.

Tor Sapienza liegt kurz vor dem Rom umgebenden Autobahnring Grande Raccordo Anulare und am Rand einer Hochgeschwindigkeitstrasse der Bahn. Rentner wohnen hier, kleine Gewerbetreibende, Arbeitslose, andere, die sich mit Putz- und Gelegenheitsjobs durchschlagen, viele Ausländer, aber vor allem Italiener. Leute, die sich näher am historischen Zentrum keine Wohnung leisten können. Ein Großteil der 2,8 Millionen Römer lebt in der Peripherie ihrer Stadt.

Niemand interessierte sich bisher für diese Viertel. Das hat sich geändert, seit Anwohner in Tor Sapienza mit Unterstützung von Rechtsextremisten eine Woche lang vor einer Unterkunft für minderjährige Flüchtlinge und Asylbewerber protestierten. Sie warfen mit Steinen und Knallkörpern, setzten Müllcontainer in Brand und brüllten: „Die Schwarzen müssen weg.“ Auch in anderen Stadtrandvierteln hat es in den vergangenen Wochen Ausschreitungen gegen Ausländer gegeben.

Krieg der Armen gegen die Armen

In Italien wird nun über den Krieg der Armen gegen die Armen debattiert, verursacht durch jahrzehntelange politische Vernachlässigung und die Wirtschaftskrise. Sogar der Papst hat gemahnt, es müsse dringend etwas gegen die soziale Notlage an den Rändern der italienischen Städte getan werden.

An diesem Abend, eine Woche nach Beginn der Proteste, ist es ruhig vor der Flüchtlingsunterkunft in der Viale Giorgio Morandi in Tor Sapienza. Die Randalierer haben sich verzogen, die Straße ist ausgestorben. Nur vor der „Bar Lory“, der einzigen im ganzen Viertel, gleich neben dem „Hyperfleisch-Markt“, stehen ein paar Leute. Vor dem Flüchtlingsheim, das weiträumig abgesperrt ist, wachen noch immer drei Mannschaftswagen der Polizei. Ihre Blaulichter huschen über den Asphalt und die Fassade des gegenüberliegenden Sozialwohnungs-Komplexes. Dessen Bewohner waren es vor allem, die gegen die Flüchtlinge protestierten.

Der Morandi-Komplex, benannt nach einem italienischen Maler, ist einen halben Kilometer lang, mit riesigem Innenhof, 700 Wohnungen und 2000 Bewohnern. Ein in den 70er Jahren erbautes graues Betonungetüm. Es gibt viele davon an Roms Peripherie, darunter das berüchtigte Corviale, Europas längstes Hochhaus. Sie stammen aus einer Zeit, in der die Außenbezirke von Rom, Turin und Mailand wild wucherten. Schon mit dem Nachkriegs-Wirtschaftswunder hatte ein meist planloser Bauboom eingesetzt. Ganze Stadtviertel wurden teils illegal aus dem Boden früherer Äcker und Felder gestampft, ohne jede Infrastruktur und Verkehrsanbindung. Der Dichter und Regisseur Pier Paolo Pasolini lebte selbst Ende der 50er Jahre in einer dieser Borgate genannten Vorstadtwüsten von Rom. In seinen frühen Filmen und Romanen wie „Accatone“ und „Mama Roma“ mit Anna Magnani waren deren Milieu und die Bewohner mit ihrem rauen Slang die Protagonisten.

Ein ambitioniertes Sozialprojekt wie der Morandi-Komplex, dessen Architekten davon träumten, eine „Polis“ zu errichten, eine Bürgergemeinschaft, war damals sogar eine positive Ausnahme. Doch der Traum realisierte sich nicht. Der Morandi-Komplex ist heute ein heruntergekommenes Ghetto wie so viele andere in den Peripherien. Betonteile fallen von den Fassaden, was einmal Park sein sollte, ist verdorrt und verwildert. Einen langen Flachbau im Innenhof, für Geschäfte gedacht, die nie einzogen, besetzen italienische und rumänische Obdachlose.

Eine Parlamentsabgeordnete der Protestbewegung Fünf Sterne samt Entourage und mehreren Kamerateams hat sich an diesem Abend im Innenhof eingefunden. Eine Woche nach den Ausschreitungen will sie mit den Leuten ins Gespräch kommen, wie sie sagt, mit ihnen über ihre Probleme sprechen. Aber die Bewohner, die um diese Zeit ihre Hunde ausführen, weichen ihr aus oder werden zornig. „Hau ab, wir brauchen hier keine Politiker!“, brüllt eine junge Frau mit Tätowierungen und geht auf die Abgeordnete los. „Hier bei uns wird doch immer nur alles abgeladen – Schwarze, Roma, Kriminelle.“ Als Roms sozialdemokratischer Bürgermeister Ignazio Marino ein paar Tage zuvor nach Tor Sapienza kam, erging es ihm ähnlich. Er wurde mit Pfiffen und Buhrufen empfangen.

„Wir haben einfach eine Riesenwut“

Ein paar Anwohner reden immerhin mit Journalisten. Ja, sie seien auch dabei gewesen, bei den Protesten gegen die Afrikaner, sagen zwei Männer in Jogginghosen stolz. Das heiße aber nicht, dass sie Rassisten seien. „Wir haben einfach eine Riesenwut, weil sich keiner um uns kümmert.“ Eine Frau erzählt, sie sei Putzfrau und mache sich jeden Morgen schon um Viertel vor vier auf den Weg zur Arbeit, weil kaum Busse fahren. Zur Haltestelle müsse sie durch einen Park. „Da sind Dealer und Prostituierte, überall liegen Spritzen, Kondome und kaputte Flaschen.“ Eine andere Frau klagt: „Nur ein paar Hundert Meter von hier verbrennen die Zigeuner in ihren Camps Kabel, Kühlschränke und Müll. Der Rauch zieht direkt in unsere Wohnungen.“

Ein Rentner, der seit 40 Jahren in Tor Sapienza lebt, wirft ein: „Eigentlich ist das Flüchtlingsheim ja unser geringstes Problem. Das hier war mal die beste Borgata Roms. Aber alles verfällt, es wird eingebrochen, keiner kann sich mehr sicher fühlen. Die Afrikaner haben nur das Fass zum Überlaufen gebracht.“ Ein Mann mit Zahnlücke fällt ihm ins Wort und schreit: „Die Schwarzen haben sich an die Fenster gestellt und die Hosen runtergezogen – vor unseren Frauen. Die müssen weg, oder ich bringe sie eigenhändig um.“ Vermutlich gehört er zu den Sympathisanten der rechtsextremistischen Gruppierung Casa Pound. Von denen gebe es im Viertel einige, sagt später der Leiter des kleinen Kulturzentrums von Tor Sapienza. Sie hätten vor den Krawallen Flugblätter gegen die Flüchtlinge verteilt. Geschürt wurden die Proteste auch von der ausländerfeindlichen Partei Lega Nord.

Es ist eine Mischung aus Armut, Wut und Fremdenhass, die sich immer häufiger entzündet, nicht nur in Rom. Aber sie richtet sich nicht gegen diejenigen, die Schuld tragen am Niedergang der Peripherie, sondern gegen die noch Schwächeren. Premier Matteo Renzi hat inzwischen versichert, im nächsten Jahr werde seine Regierung einen Zukunftsplan vorlegen für die städtischen Randgebiete, „die zu oft vergessen wurden“. Roms Bürgermeister verspricht, die Stadtverwaltung werde jetzt gegen die illegale Müllverbrennung und gegen Straßenprostitution vorgehen. Und im Flüchtlingsheim in Tor Sapienza würden künftig Frauen und Kinder untergebracht. Ein Komitee der Anwohner fordert allerdings, es müssten bedürftige italienische Frauen und Kinder sein.

Die vorwiegend afrikanischen Bewohner der Unterkunft gehen seit zwei Wochen nicht mehr allein auf die Straße. „Wir haben Angst“, sagt ein junger Äthiopier mit Rastalocken. Fast alle arbeiten tagsüber oder besuchen Italienisch-Kurse an anderen Orten Roms. Die Sozialarbeiter der Betreiber-Kooperative „Sorriso“, Lächeln, müssen sie nun ständig mit dem Auto bringen und wieder abholen. Auf die Frage, wie es weitergehen soll, atmet die Chefin, eine junge Italienerin im dunkelblauen Parka, lange ein. Dann entlädt sie ihre Ratlosigkeit in einem wortlosen Seufzer. „Wir hoffen ja immer noch, dass wir mit denen Frieden schließen können“, sagt ihr Kollege und schaut dabei durch die zersplitterte Eingangstür auf den Morandi-Komplex.